Medizin
Schwangerschaft: Übelkeit und Erbrechen „schützen“ vor Fehlgeburt
Dienstag, 27. September 2016
Bethesda/Maryland – Schwangere, die in den ersten Wochen nach der Befruchtung unter Übelkeit und Erbrechen litten, hatten in einer Kohortenstudie in JAMA Internal Medicine (2016; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.5641) ein deutlich niedrigeres Risiko auf eine Fehlgeburt.
Übelkeit und Erbrechen in der Frühschwangerschaft sind so häufig, dass seit Längerem über den „evolutionären Sinn“ spekuliert wird, den dieses merkwürdige Phänomen haben könnte. Eine beliebte Hypothese interpretiert die Symptome als ein Warnsignal für die Frauen, bei ihrer Ernährung auf Speisen, die möglicherweise dem Embryo schaden, zu verzichten und stattdessen mehr Kohlenhydrate zu sich zu nehmen, um für die Entwicklung des Kindes ausreichende Energiereserven zur Verfügung stellen zu können.
Als Beleg für diese Hypothese wird die Beobachtung gewertet, dass Schwangere, die unter Übelkeit und Erbrechen leiden, seltener eine Fehlgeburt erleiden. Dieser Zusammenhang ist durch eine Reihe von Studien belegt, die allerdings zumeist in der Spätschwangerschaft durchgeführt werden. Dies kann die Ergebnisse verzerren, da sich nicht alle Frauen an die Übelkeit erinnern (Recall Bias). Außerdem werden einige sehr frühe Fehlgeburten übersehen (Length Time Bias).
Beide Verzerrungen konnte das Team um Enrique Schisterman vom National Institute of Child Health and Human Development in Bethesda ausschließen. Die Forscher analysierten die Daten der randomisierten klinischen EAGER-Studie (Effects of Aspirin in Gestation and Reproduction), an der 797 Frauen teilgenommen hatten, die nach einer oder zwei vorherigen Fehlgeburten erneut schwanger werden wollten.
Bei den Frauen wurde bereits vor der Schwangerschaft täglich der Urin auf das Schwangerschaftshormon hCG untersucht. Die Forscher konnten deshalb den Beginn der Schwangerschaft ab der Peri-Implantationsphase bestimmen, wenn die Blastozyste beginnt, das Hormon hCG freizusetzen, um die Einnistung vorzubereiten. Durch die täglichen Hormonbestimmungen wurden auch frühe Fehlgeburten erfasst, die die Frauen zusammen mit der Frühschwangerschaft möglicherweise gar nicht bemerkt hätten.
Alle Teilnehmerinnen führten ein Tagebuch, in das sie Übelkeit und Erbrechen eintrugen. Schon in der zweiten Gestationswoche klagten fast 18 Prozent der Frauen (73 von 409) über Übelkeit und 2,7 Prozent (11 von 409) über Übelkeit und Erbrechen. Diese Anteile stiegen bis zur achten Woche auf 57,3 Prozent (254 von 443) beziehungsweise 26,6 Prozent (118 von 443).
Wie in den früheren Untersuchungen waren Übelkeit mit oder ohne Erbrechen mit einer niedrigen Rate von Fehlgeburten verbunden. Die Assoziation war sehr ausgeprägt. Für die Übelkeit ermittelte Schisterman eine Hazard Ratio von 0,50 (95-Prozent-Konfidenzintervall 0,32–0,80). Bei diesen Frauen kam es zu 50 Prozent seltener zur Fehlgeburt als bei Frauen ohne Übelkeit. Bei Übelkeit mit Erbrechen betrug die Hazard Ratio sogar 0,25 (0,12–0,51). Das Risiko auf eine Fehlgeburt war damit um 75 Prozent niedriger als bei Frauen ohne Schwangerschaftsübelkeit.
Genau genommen gelten diese Zahlen nur für Frauen, die nach einer oder zwei früheren Fehlgeburten erneut schwanger wurden. Für andere Frauen könnte der Effekt geringer sein. Ein evolutionärer Vorteil ist aufgrund der Effektstärke durchaus plausibel. Dies beantwortet allerdings nicht die Frage nach der Ursache. Sie dürfte auf hormoneller Ebene in dem Anstieg der hCG-Werte zu suchen sein, die in der elften Wochen ihren Höhepunkt erreichen und dann wieder abflauen.
Dann erholen sich die meisten Frauen auch von ihrer Schwangerschaftsübelkeit. Für hCG als Ursache spricht auch, dass die Übelkeit bei Mehrlingsschwangerschaften, einer Blasenmole oder auch bei fetaler Trisomie 21 besonderes ausgeprägt ist. Bei diesen drei Entitäten kommt es zu einem besonders hohen Anstieg des hCG. © rme/aerzteblatt.de

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