Politik
Versorgung von Terroropfern: Unfallchirurgen und Bundeswehr stellen 5-Punkte-Plan vor
Dienstag, 27. September 2016
Berlin - Erstmals findet bundesweit einheitlich die fachliche Schulung von Chirurgen zur medizinischen Versorgung von Terroropfern statt. Den Auftakt dazu gibt morgen die Notfallkonferenz der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) „Terroranschläge – eine neue traumatologische Herausforderung“. Rund 200 Teilnehmer aus Chirurgie, Notfallmedizin und Politik werden dazu im Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn erwartet.
Mit Hilfe eines neuen 5-Punkte-Planes wollen DGU und Bundeswehr die Vorbereitung auf mögliche Terroranschläge oder Katastrophen verbessern. Das TraumaNetzwerk DGU® mit mehr als 600 Kliniken biete dafür eine ideale Struktur, ist sich Bertil Bouillon, Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Klinikum Köln-Mehrheim sicher.
Auch die Arbeitsgemeinschaft für Militär- und Notfallchirurgie (CAMIN) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) bietet zusammen mit Viszeralchirurgen der Bundeswehr ein entsprechendes Kursformat an. Laut DGU wollen die beiden Fachgesellschaften zusammen mit den Anästhesisten die neue Initiative gemeinsam voranbringen. „Die Workshops sollen nicht in Konkurrenz zueinander treten“, ergänzt Benedikt Friemert vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm und Leiter der AG Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie der DGU.
Fünf Punkte Plan zur medizinischen Versorgung bei Katastrophen und Terroranschlägen
- Notfallkonferenz zum Thema „Terroranschläge – eine neue traumatologische Herausforderung“ am 28.09.2016 in Berlin
- Bewusstsein schaffen: Über das TraumaNetzwerk DGU® etabliert die DGU künftig Erkenntnisse über die medizinische Versorgung von Terroropfern in allen Traumazentren.
- Weiterführende, spezielle Ausbildungsformate für Chirurgen zur Behandlung von Terroropfern mit Schuss- und Explosionsverletzungen
- Das TraumaRegister DGU® zur Erfassung von Schwerverletzten wird um ein Schuss- und Explosionsregister erweitert.
- Neben einer strategischen Partnerschaft mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr wird ein Vertrag mit der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP) geschlossen.
Auf der Notfallkonferenz morgen steht die Analyse des aktuellen Bedarfs auf der Agenda: Welche Kenntnisse brauchen Ärzte heutzutage? Welche besonderen medizinischen Herausforderungen ergeben sich bei einem nicht kalkulierbaren Terroranschlag im Vergleich etwa zu einem Zugunglück? Und welche taktische Vorgehensweise verspricht das Überleben der Opfer am besten zu bewahren?
Herausforderungen und Strategien
„Maschinenpistolen, Sprengsätze und Nagelbomben verursachen ganz andere Verletzungen als Autounfälle“, sagte Reinhard Hoffmann, Generalsekretär der DGU auf der heutigen Pressekonferenz in Berlin. Verletzte Menschen sowie die Rettungskräfte im Notfall zu versorgen, erfordere neue Konzepte. Unfallärzte könnten dabei viel von ihren Bundeswehrkollegen und deren Erfahrungen in Kriegseinsätzen lernen. „Während bei Verkehrsunfällen die Stabilisierung der Atmung für gewöhnlich oberste Priorität hat, steht bei Explosionen die Stillung der Blutung an erster Stelle“, erklärte Bouillon das neue strategische Vorgehen.
Bei stark blutenden Schuss- oder Explosionsverletzungen könnte auch die Bevölkerung unterstützen, indem sie stark blutende Gliedmaßen mit T-Shirts, Schals oder anderen Kleidungsstücken schnellstmöglich abbinden, noch bevor die Rettungskräfte kommen. Bestenfalls seien Verbandskästen mit Tourniquets ausgestattet und Erste-Hilfe-Kurse um entsprechende Inhalte erweitert. Die S3-Leitlinie zum Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung hat die DGU gemeinsam mit 20 Fachgesellschaften erst kürzlich ergänzt und publiziert. Nächstes Jahr soll das Weißbuch Schwerverletztenversorgung durch die neuen Erkenntinsse aktualisiert werden.
zum Thema
- 5 Punkte Plan zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Katastrophen und bei Terroranschlägen
- DGAV Kurse
- Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung
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Wie gut ist Deutschland vorbereitet?
Durch das Traumanetzwerk seien Ballungszentren im Notfall gleichermaßen gut aufgestellt wie ländliche Regionen, ist sich Bouillon sicher. „Auch im weltweiten Vergleich steht Deutschland bei der Vorbereitung im Falle eines Anschlags mit vielen Verletzen gut da“, schätzt der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Michael Tempel. Dennoch bewertet er den Status Quo auf einer Schulnotenskala nur mit einer 3,5.
„Wir könnten deutlich mehr tun, sowohl die Obrigkeit als auch jeder von uns.“ Vor allem die Finanzierung solcher bundesweiten Schulungen sei in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern komplitzierter, ergänzt Friemert. Praktische Übungen mit Schauspiel-Opfern, wie sie in Paris kurz vor dem Anschlag durchgeführt wurden, finden in Deutschland immer seltener statt, so Bouillon. Die Ursache: „Die Kosten bewegen sich im sechsstelligen Bereich, hier sind wir auf finanzielle Unterstützung der Politik angewiesen.“
„Gerne würden wir mit der politischen Ebene ins Gespräch kommen, um für die Initiativen der DGU auch finanzielle Unterstützung zu erhalten," sagte Hoffmann. Davon sei am Ende abhängig, in welcher Größenordnung die Kurse umgesetzt werden könnten. Die beiden ersten Pilotkurse für Chirurgen sind aber in jedem Fall noch für Dezember 2016 geplant. © gie/aerzteblatt.de

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