Medizin
Myopie: Bildungsniveau entscheidend, nicht die Intelligenz
Mittwoch, 12. Oktober 2016
Mainz – Umweltfaktoren wie Bildung und Freizeitverhalten haben einen größeren Einfluss auf die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit als die Fähigkeit, logisch zu denken und Probleme zu lösen. Myopie und die sogenannte „fluide Intelligenz“ eines Menschen hängen zwar zusammen, jedoch nur indirekt über die Dauer der Bildung. Das fanden Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz heraus. Die Ergebnisse ihrer Studie sind in der Oktoberausgabe von Investigative Ophthalmology & Visual Science veröffentlicht (doi:10.1167/iovs.16-19507).
„Aus bereits von uns veröffentlichten Studien wissen wir, dass ein hohes Bildungsniveau häufig mit der Entwicklung einer Kurzsichtigkeit einhergeht“, sagt Norbert Pfeiffer, Direktor der Augenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. Er leitete zusammen mit Alireza Mirshahi, Direktor der Bonner Augenklinik Dardenne, und dem Leiter Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Josef Unterrainer die publizierte Studie. Deren zentrale Forschungsfrage lautete: Sind Kurzsichtige nicht nur gebildeter, sondern auch intelligenter?
Die Myopie ist die Erkrankung unter den Augenleiden, von der mit steigender Tendenz die meisten Menschen betroffen sind. Starke Kurzsichtigkeit ist eine der Hauptursachen von Sehbehinderung. Zudem ist sie eng verbunden mit einem erhöhten Risiko, Folgeerkrankungen wie Netzhautablösung, Makuladegeneration, vorzeitigem Grauen Star und Glaukom zu erleiden. Da eine Myopie im Frühstadium gut zu behandeln, wenn auch nicht zu heilen ist, ist das Wissen um die Ursachen der Erkrankung von zentraler Bedeutung.
Das Forscherteam kommt zu dem Schluss: Zwar hängt die kognitive Leistungsfähigkeit, und damit die Intelligenz, für sich alleine betrachtet mit dem Auftreten der Kurzsichtigkeit zusammen. Als die Wissenschaftler alle Einflussfaktoren berücksichtigten, stellten sie jedoch fest, dass die Anzahl der Bildungsjahre in einem direkteren und stärkeren Zusammenhang mit einer Kurzsichtigkeit steht als die kognitive Leistungsfähigkeit. Diese Fähigkeit ist nur durch den Einfluss des Bildungsgrades mit einer Myopie verbunden. Mit anderen Worten: Das Bildungsniveau eines Menschen und nicht seine Intelligenz ist in erster Linie entscheidend für die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit. Von zwei gleichermaßen intelligenten Menschen, wird also derjenige wahrscheinlicher kurzsichtig und stärker fehlsichtig, der länger zur Schule geht und der den höheren Schulabschluss hat. Die Ursache für den Zusammenhang vermuten die Autoren der Studie bei der häufigen Bildschirm-Arbeit und weniger Outdoor-Aktivitäten bei einem längeren Bildungsweg.
Für ihre Studie wertete das Forscherteam Daten aus, die im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie der Universitätsmedizin Mainz – eine der weltweit größten Studien im Bereich bevölkerungsbasierter Forschung – gewonnen wurden. Die Subkohorte umfasste rund 4.000 Personen im Alter zwischen 40 und 79 Jahren. Um die kognitiven Fähigkeiten zu messen, nutzten die Wissenschaftler den Turm von London (TOL)-Test. Der 20-minütige Test misst die Fähigkeit, logisch zu denken, zu planen und Probleme zu lösen. Um eine Myopie festzustellen, untersuchten die Forscher die Brechkraft der Augen, also wieviel das Auge korrigieren muss, damit es ein Bild scharf sieht. Kurzsichtigkeit ist durch negative Dioptrie-Werte gekennzeichnet, laut Studiendefinition ab einer Stärke von kleiner/gleich minus 0,5 Dioptrien.
Die Teilnehmer mit einer Myopie erzielten als durchschnittliches Ergebnis für den TOL-Test einen Wert von 14. Die Vergleichsgruppe der Nichtkurzsichtigen erreichte einen Wert von nur 12,9. Außerdem zeigte sich: Je höher der Myopiewert, desto höher der TOL-Score. So erreichten die stark kurzsichtigen Teilnehmer mit mehr als sechs Dioptrien einen Durchschnittswert von 14,6. Dieser scheinbare Zusammenhang zwischen Kurzsichtigkeit und besserem Abschneiden im Planungstest löste sich jedoch auf, als die Forscher auch den Einfluss der Anzahl der Bildungsjahre berücksichtigten.
„Durch die aktuelle Studie wird die Bedeutung der Bildung im Zusammenhang mit einer Myopie weiter verdeutlicht“, erklärt Pfeiffer, Vorstandsmitglied der Stiftung Auge. Der Einfluss der Outdoor-Aktivität konnte in der aktuellen Studie nicht ausgewertet werden, da diese in der Gutenberg Health Study nicht erfasst wurde. Frühere Studien konnten aber bereits zeigen, dass Kinder, die sich vergleichsweise viel draußen aufhalten, ein geringeres Risiko für Myopie haben. „In weiteren Untersuchungen werden wir den Einfluss von Naharbeit am Bildschirm oder durch die Nutzung von Smartphones genauer untersuchen,“ stellt Pfeiffer in Aussicht.
© EB/gie/aerzteblatt.de

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