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Medizin

Großbritannien: Migranten sehr selten Überträger einer Tuberkulose

Mittwoch, 12. Oktober 2016

dpa

London – Die britische Regierung erteilt Migranten aus Hoch-Endemie-Ländern nur dann ein Visum, wenn sie im Heimatland röntgenlogisch und bakteriologisch eine aktive Tuberkulose ausschließen lassen. Die meisten Erkrankungen treten dennoch erst in den ersten Jahren nach der Einwanderung auf, wie eine Untersuchung im Lancet (2016; doi: 10.1016/S0140-6736(16)31008-X) zeigt. Diese neu erkrankten Migranten scheinen aber nur selten weitere Personen anzustecken.

Die britische Regierung hat im Jahr 2005 zunächst für 15 Länder in Afrika und Südasien ein „Pre-Entry“-Screening vorgeschrieben (es wurde inzwischen auf 105 Länder ausgedehnt). Alle Einwohner von Bangladesch, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Eritrea, Ghana, Kambodscha, Kenia, Laos, Niger, Pakistan, Somalia, Sudan, Tansania, Thailand und Togo, die länger als sechs Monate in Großbritannien bleiben wollen, müssen im Heimatland einen Röntgenthorax anfertigen und im Fall eines positiven Befundes eine Sputumuntersuchung durchführen lassen.

Wie Robert Aldridge vom University College London kürzlich in Lancet Infectious Diseases (2016; 16: 962–70) berichtet, wurden unter 476.455 Antragstellern 439 bakteriologisch gesicherte offene Tuberkulose-Erkrankungen gefunden. Damit kam auf etwa 1.000 Antragsteller eine Erkrankung (Number needed to screen 1.087; 95-Prozent-Konfidenzintervall 990–1.190). Die meisten Antragsteller dürften sich in der häuslichen Umgebung angesteckt haben. Die Angabe, dass unter Bekannten oder im Haushalt lebenden Personen Tuberkulose-Erkrankungen aufgetreten waren, war der stärkste Prädiktor für eine aktive Tuberkulose beim „Pre-Entry“-Screening (Odds Ratio 11,6; 7,0-19,3).

Da die Tuberkulose eine sehr lange Latenzzeit hat, in der die Infektion keine Symptome auslöst, war klar, dass das „Pre-Entry“-Screening nicht alle Infektionen erkennen kann. Es musste deshalb damit gerechnet werden, dass einige Migranten in ihrer neuen Heimat an einer offenen Tuberkulose erkranken werden. Dies war, wie die neuen Zahlen von Aldridge zeigen, bei 1.873 Personen der Fall, die im Durchschnitt seit 2,45 Jahren in den drei Ländern leben.

Die Zahlen bedeuten, dass fast 80 Prozent der Erkrankungen erst nach der Einreise aufgetreten sind. Dieser Anteil dürfte in den nächsten Jahren noch steigen. Der Erkrankungsgipfel lag bei zwei bis vier Jahren nach der Immigration. Wichtigster Prädiktor für eine aktive Tuberkulose war ein verdächtiger Röntgenbefund, der jedoch bakteriologisch in der Sputumuntersuchung nicht bestätigt wurde – die Personen durften dann ohne vorherige Behandlung einreisen.

Aldridge ermittelt eine Odds Ratio von 3,2 (2,8–3,7). Ein Nachteil des „Pre-Entry“-Screenings könnte sein, dass sich die britischen Behörden auf die Untersuchungsqualität in den Heimatländern verlassen müssen. Oft sind es ärmere Länder mit begrenzten Ressourcen.

Aldridge hat bei den neu an Tuberkulose erkrankten Migranten die genetischen Fingerabdrücke (MIRU-VNTR) des Erregers bestimmen lassen. Der Vergleich mit anderen Erkrankungen in der Datenbank „UK enhanced tuberculosis surveillance system“ ergab, dass vermutlich nur 35 Migranten andere Einwohner Großbritanniens infiziert haben.

Die Gefahr, dass Migranten zum Ausgangspunkt von Tuberkulose-Epidemien werden, ist deshalb sehr gering. Auch unter den 35 „Index“-Fällen waren Personen mit einem verdächtigen Röntgenbefund im Heimatland überrepräsentiert (relative Inzidenzrate 9,6; 4,4-20,7). Eine Möglichkeit, die Übertragung von M. tuberculosis im Zielland zu verhindern, könnte deshalb darin bestehen, Patienten mit einer latenten Tuberkulose vorsorglich zu behandeln.

Die Daten sind sicherlich nicht eins zu eins auf die Situation in Deutschland übertragbar, da die meisten Flüchtlinge in den letzten Jahren nicht in geordneten Verhältnissen mit einem Visum eingereist sind. Ein „Pre-Entry“-Screening wäre vor diesem Hintergrund gar nicht möglich. In Deutschland werden alle registrierten Flüchtlinge auf Tuberkulose gescreent. In den ersten 35 Kalenderwochen von 2016 wurden 1.336 Tuberkulose-Erkrankungen bei Asylsuchenden diagnostiziert. Insgesamt sind in diesem Zeitraum 4.146 Erkrankungen erkannt worden. © rme/aerzteblatt.de

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