Medizin
„AltitudeOmics“: Wie zwei Wochen Hochgebirge den Stoffwechsel von Erythrozyten verändern
Dienstag, 18. Oktober 2016
Aurora – Viele Menschen passen sich schneller an den Sauerstoffmangel im Hochgebirge an, als Physiologen bisher erklären konnten. Eine Studie im Journal of Proteome Research (2016; 15: 3883–3895) zeigt, welche Stoffwechselveränderungen in den Erythrozyten dafür verantwortlich sein könnten.
Ein Aufenthalt im Hochgebirge ist für viele Menschen gefährlich. Forscher schätzen, dass einer von vier Touristen in Colorado – mit einer mittleren Höhe von 2.073 Metern der höchstgelegene Bundesstaat der USA – eine Höhenkrankheit entwickelt. Andere dagegen vertragen den Aufenthalt in großen Höhen ohne Probleme.
Auch die 21 gesunden Teilnehmer einer Studie des „Altitude Research Centre“ der Universität von Colorado in Aurora kamen nach wenigen Tagen mit der Höhenluft zurecht. Dabei hatten sie ihren Urlaub nicht in Colorado verbracht. Sie waren zu Forschungszwecken auf den Mount Chacaltaya in Bolivien gefahren worden. Dort verbrachten sie in einer Höhe von 5.260 Metern 16 Tage in dem früher (inzwischen geschlossenen) weltweit höchsten Skierholungsgebiet.
Bislang ging die Forschung davon aus, dass der Aufenthalt in der sauerstoffarmen Luft - der Partialdruck fällt in einer Höhe von 5.200 Metern auf die Hälfte des Wertes auf Meereshöhe – zu dauerhaften Veränderungen in den Erythrozyten führt. Da die Zellen eine Lebensphase von 120 Tagen haben, würde die vollständige Anpassung ebenso lange dauern. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass einige Menschen sich innerhalb weniger Tage an den Aufenthalt in der Höhe gewöhnen. Das Team um Robert Roach hat deshalb die Erythrozyten der Probanden am 1. Tag nach der Ankunft untersucht und die Tests nach 7 und 16 Tagen wiederholt.
Die Forscher führten eine Metabolom-Analyse durch. Dabei wird die Konzentration möglichst vieler Moleküle in den Zellen bestimmt. Die Forscher stießen auf Veränderungen, die auf eine rasche Anpassung des Stoffwechsels in den Erythrozyten schließen lässt. Dazu gehört einen Anstieg der Glykolyse, Veränderungen im Pentose-Phosphat-Weg, im Purin-Abbau, der Glutathion-Homöostase, sowie im Arginin/Stickoxid-Verhältnis und der Bildung von Schwefelwasserstoff in den Zellen, dessen einzige Aufgabe der Transport von Sauerstoff im Blut ist.
Diese Veränderungen hielten auch nach einem zwischenzeitlichen Abstieg für eine Woche auf eine Höhe von 1.525 Metern an, und nach einem zweiten Aufenthalt auf dem Mount Chacaltaya fühlten sich die Teilnehmer bereits bei der Ankunft fit. Eine Bergwanderung, die nach dem ersten Anstieg viele Teilnehmer überfordert hatte, wurde jetzt von den Teilnehmern ohne Probleme gemeistert.
Für Roach ist die alte Lehrmeinung, dass die Höhenanpassung an die Bildung neuer Erythrozyten gebunden ist, mit den neuen Forschungsergebnissen überholt. Unklar ist jedoch noch, wie lange der Erholungseffekt anhält. Roach meinte gegenüber den Medien, die Veränderungen würden möglicherweise über Monate anhalten – dank der Metabolom-Analyse dürfte dies demnächst überprüft werden.
Gegenüber Science verwies Roach auf die Erfahrungen der 10. US-Gebirgsdivision, die im zweiten Weltkrieg in Italien gekämpft hatte. Einigen Veteranen soll die Hochgebirgsluft so gut gefallen haben, dass sie sich später durch regelmäßige Gebirgsaufenthalte fit gehalten hätten. Ob sie dies einer dauerhaften Veränderung im Stoffwechsel der Erythrozyten verdanken, wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen. © rme/aerzteblatt.de

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