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Krankenhaus: 2,6 Millionen Infektionen in Europa

Mittwoch, 19. Oktober 2016

dpa

Berlin – In Europa sterben nach einer neuen Studie hochgerechnet mehr als 90.000 Pa­tienten pro Jahr an Krankenhausinfektionen. Die Forscher gehen von mehr als 2,5 Millio­nen Infektionen aus, die sich Patienten erst in einer Klinik zuzogen. Sie hatten in die Stu­die sechs häufige Krankenhausinfektionen aufgenommen, dazu zählen Lungen­entzün­dun­gen, Sepsis sowie Harnwegs- und Wundinfektionen, wie die Forscher im Fachblatt Plos Medicine (10.1371/journal.pmed.1002150) berichten.

„Die Studie ist in meinen Augen die beste, die ich zu diesem Thema gesehen habe, nicht nur in Europa“, sagte Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenz­zentrums zur Überwachung von Krankenhausinfektionen an der Berliner Charité. Für Deutschland schätzt Gastmeier die Zahl der Krankenhausinfektionen pro Jahr auf rund 500.000. Da­durch kommt es geschätzt zu bis zu 15.000 Todesfällen. Ein Drittel der Krankenhaus­in­fek­tionen gilt als vermeidbar – zum Beispiel durch bessere Hygiene.

Für ihre Studie haben die Forscher um Alessandro Cassini vom Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) vor allem auf Daten dieses Zentrums zurückgegriffen. Sie wurden 2011/2012 in 30 europäischen Ländern mit zu­sammen rund 510 Millionen Einwohnern erhoben. Insgesamt kann es nach ECDC-An­ga­ben noch mehr Krankenhausinfektionen geben, da nur sechs jedoch recht häufige Infek­tionen in die neue Auswertung einflossen.

Die Krankenhausinfektionen sind nach Angaben der Autoren zugleich Ursache für 2,5 Millionen beeinträchtigte oder verlorene Lebensjahre jährlich in Europa. Bei der völlig neuen Art der Berechnung sei auch berücksichtigt worden, dass solche Patienten immer Grunderkrankungen haben, betonte Mitautor Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut, das maßgeblich an der Studie beteiligt war. Die ermittelte Krankheitslast sei also nur auf die Krankenhausinfektionen zurückzuführen und nicht auf die ohnehin bei den Patienten vor­handenen Krankheiten.

Auch Deutschland lieferte seine Zahlen dazu. Als Basis für die Europa-Auswertung dienten am Ende die Daten von rund 274.000 Patienten in rund 1.150 Akut­kranken­häusern. Nicht berücksichtigt wurden andere Einrichtungen wie zum Beispiel Reha-Zentren. Bei den Hochrechnungen wurden Krankenhausinfektionen, die durch multi­resistente Erreger ausgelöst wurden, bewusst nicht separat ausgewiesen. Sie sind in die Gesamtzahl ein­ge­flossen. In der Studie seien 85 bis 90 Prozent der in den 30 Ländern vorkommenden Kran­kenhausinfektionen erfasst worden, erklärte Gastmeier.

Eine solche Infektion bekommt ein Patient per Definition in einer Klinik. „Am ersten und zweiten Tag in einer Klinik sind es in der Regel mitgebrachte Infektionen, ab Tag drei gilt es als Krankenhausinfektion“, sagte Gastmeier. Das heiße aber nicht, dass ab dem dritten Tag automatisch Klinikmitarbeiter die Schuld daran trügen. Denn die Gründe für diese Infektionen sind vielfältig.

Klinikpatienten benötigen oft invasive Untersuchungen oder Therapien: Sie bekommen zum Beispiel Katheter gelegt oder werden an Beatmungsgeräte angeschlossen. „Das alles sind Eintrittsschienen für Erreger in den Körper“, so Gastmeier. Oft seien es gar keine fremde Keime aus der Umgebung. „Jeder von uns schleppt Billionen Bakterien mit sich herum“, erläuterte die Hygieneärztin. „Zum Beispiel auf unserer Haut oder im Darm – und die dringen dann in den Körper ein.“ Je länger ein Katheter liege, desto größer sei das Risiko dafür.

In Deutschland bekommen rund 3,5 Prozent der Patienten auf Allgemeinstationen eine Krankenhausinfektion, 15 Prozent auf Intensivstationen. Die Zahlen werden sich nach Meinung Gastmeiers künftig kaum ändern. Zwar haben viele Kliniken die Händehygiene verbessert und es gibt mehr geschultes Personal. „Doch die Patienten werden immer älter und kränker und damit noch anfälliger für Infektionen“, berichtete sie.

Es gibt noch zwei gegenläufige Entwicklungen: Durch Schlüsselloch-Chirurgie ist das Infektionsrisiko heute bei Operationen geringer als früher. Doch auf der anderen Seite steige die Zahl der invasiven Maßnahmen, sagt Gastmeier. So würde oft nicht mehr nur ein zentraler Venenkatheter gelegt, sondern mehrere. Und bei jeder Eintrittsstelle in den Körper haben Keime Chancen.

Zwischen 1.000 und 4.000 Todesfälle gehen in Deutschland pro Jahr auf das Konto mul­ti­resistenter Erreger, heißt es. Viele Patienten bringen sie bereits mit – und es obliegt dem Management der Kliniken, dafür zu sorgen, dass sich andere Patienten nicht infizie­ren. Bei der Umsetzung habe sich in den vergangenen Jahren im Vergleich zu früher ebenfalls viel getan, sagte Gastmeier – bis hin zu gezielten Präventions­pro­gram­men bei Risikogruppen. Doch es kommt weiterhin immer auf das Augenmerk der einzelnen Klinik an.

Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Infektionen sieht Gastmeier vor allem bei der Antibiotikaverordnung. „Da könnten wir sparen, vor allem im ambulanten Bereich“, sagte die Expertin. So sollten möglichst keine Breitspektrumpräparate verordnet werden. Un­klar sei aber, welchen Einfluss die Belastung mit Antibiotika heute durch Umwelt, Lebens­­mittel und auch Reisen habe.

Nach Auffassung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) machen die Ergeb­nisse der Untersuchung deutlich, dass sich die Kliniken des Problems bewusst sind. Die Studie zeige auch, dass die überwiegende Zahl der Infektionen krankheitsbedingt sei, erklärte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Gleichwohl seien weitere Anstren­gun­gen zur Vermeidung vermeidbarer Infektionen notwendig. © dpa/aerzteblatt.de

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