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Politik

Psychotherapie: Sprechstundenpflicht für Patienten könnte später kommen

Dienstag, 25. Oktober 2016

Berlin – Vertreter der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) äußerten sich letzte Woche zuversichtlich, aber auch besorgt hinsichtlich der geplanten Änderung der Psychotherapie-Richtlinie. „Durch die geplante Sprechstundenpflicht für Patienten wird ein Flaschenhals entstehen,“ gab Barbara Lubisch im Vorfeld des DPtV-Kongresses in Berlin zu Bedenken. Der Zugang der Versicherten zur ambulanten Psychotherapie sei gefährdet, sagte die Bundesvorsitzende der DPtV. Diese Problematik sei auch dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bekannt, das daraufhin in einer Beanstan­dung der Richtlinie unter anderem forderte, die Sprechstundenpflicht für Patienten aufzuschieben. Ende November soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) über die Änderungen entscheiden.

Anfang September äußerte das BMG seine Bedenken hinsichtlich der Änderung der Psychotherapie-Richtlinie im Rahmen einer Teilbeanstandung. Darin heißt es: Um den Zugang der Patienten zur Psychotherapie sicherzustellen sei „zwingend erforderlich, dass der G-BA auf die Benennung der psychotherapeutischen Sprechstunde als freiwillige „Kann“-Leistung verzichte (...). Wenn der G-BA an der grundsätzlich verpflichtenden Inanspruchnahme einer Sprechstunde als Zugangsvoraussetzung für Versicherte zur weiteren ambulanten Psychotherapie festhalten will, dürfte zudem eine Übergangsregelung als erforderlich anzusehen sein, bis ein hinreichendes, flächen­deckendes Angebot an Sprechstunden aufgebaut ist."

Wie lange Patienten weiterhin auch ohne Besuch einer Sprechstunde eine Psycho­therapie in Anspruch nehmen können, wird erst Ende November vom G-BA entschieden. „Ein entscheidender Teil der Versorgung wird derzeit auch von appro­bierten Psychotherapeuten geleistet, die im Rahmen der Kostenerstattung ohne Zulassung zum vertragsärztlichen Versorgungssystem für Psychotherapeuten arbeiten. Es ist nicht vorstellbar, dass dieser Teil durch die Richtlinienreform wegfällt.“ Unklar sei auch, ob der Anteil der Psychotherapien, die zurzeit von Kostenerstattlern durchgeführt werden, nach Inkrafttreten der neuen Richtlinie stabil bleiben werden, so die psychologische Psychotherapeutin.

Wie viele Psychotherapieplätze das betrifft, können die Experten der DPtV nur schätzen. Denn aktuelle Zahlen der Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung erfasst das BMG seit 2013 nicht mehr. Damals lag der Versor­gungsanteil bei zwei Prozent. Etwa 45 Millionen Euro wurden den Leistungserbringer im Jahr 2012 nach Paragraf 13 Absatz 3 SGB 5 erstattet.

Im Gegensatz zum Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist die DPtV jedoch der Meinung, dass auch Kostenerstattler einen entscheidenden Teil zur Versorgung beitragen. „Die stetige Zunahme der Kostenerstattung seit dem Jahr 2002 von etwa 7,5 Millionen auf 45 Millionen Euro im Jahr 2012 lässt erahnen, bei welcher Dimension wir im Jahr 2016 angekommen sind“, vermutete Dieter Best, stellvertretender Bundesvorsitzender der DPtV und führte fort: „Hundert Millionen Euro im Jahr 2016 dürften realistisch sein.“ Wenn diese Privatpraxen Sprechstunden anbieten, sei derzeit offen, ob die Krankenkassen diese auch bezahlen, erklärte Lubisch.

Während laut GKV die Zahl der Kinder und Jugendlichenpsychotherapeuten, der Psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten zwischen 1999 und 2015 von etwa 15.000 auf 28.631 zugenommen hat (siehe Grafik 1), stieg auch die Zahl der Betroffenen mit psychischen Erkrankungen. Allein die Anzahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen nahm seit dem Jahr 2000 um gute 80 Prozent. Das zeigte der aktuelle Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse. © gie/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #719473
Anonym.
am Mittwoch, 9. November 2016, 11:01

Verschiebung der Problematik

Guter Artikel, der endlich einmal die wichtige Gruppe der Kostenerstatter erwähnt.
Die Reform gibt ja vor, die ambulante psychotherapeutische Versorgung durch die Einführung einer Sprechstunde stärken zu wollen. Dabei ist nur allzu deutlich, dass trotz eines schnellen Sprechstundentermins im Anschluss daran weiterhin keine freien Therapieplätze zur Verfügung stehen werden. Durch die Pflichteinführung von Sprechstundenzeiten werden sich die Therapiezeiten der niedergelassenen Therapeuten eher verringern.
Das eigentliche Ziel der Reform, den Kostenfaktor „Kostenerstattung“ zu verdrängen wird zu weiteren großen Versorgungsproblemen führen. Aktuell arbeiten in Berlin über 500 approbierte Psychotherapeuten in der Kostenerstattung in ebenfalls überfüllten Praxen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Diese Gruppe leistet einen wichtigen Beitrag zur ambulanten Versorgung, wird aber von allen Beteiligten bis hin zu den eigenen „Vertretern“ der Psychotherapeutenkammer verleugnet und soll mit Einführung der Reform praktisch abgeschafft werden. Was das für die ohnehin schon langen Wartezeiten für die PatientInnen bedeutet, kann man sich vorstellen.
Warum das BMG die aktuellen Zahlen der Kostenerstatter nicht mehr erfasst kann man sich vorstellen. Ohne harte Fakten lässt sich die bestehende Unterversorgung deutlich einfacher leugnen.
Die einzige Möglichkeit, dem faktisch deutlich gestiegenen Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung zu befriedigen, ist die Schaffung von neuen Vertragssitzen. Alles weitere Herumdoktern mit einem Reförmchen wird nur zu einer weiteren Verschiebung der Problematik führen.
LNS
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