Medizin
Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation: Diskussion um HCC-Nachweis
Dienstag, 1. November 2016
Im Heft 8 der Februar-Ausgabe 2016 des Deutschen Ärzteblatts wurde eine Änderung der bislang geltenden Richtlinie (Fassung vom 23.04.2015) gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation bekanntgegeben.
Im Folgenden dokumentiert die Redaktion eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) und eine Replik von Prof. Dr. med. C. P. Strassburg (Federführender AG RL BÄK Leber) und Prof. Dr. med. B. Nashan (stellv. Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation).
Stellungnahme der DEGUM
In der Richtlinie wurde festgelegt, dass Patienten mit einem HCC in einer Zirrhose im Stadium UNOS T2 ohne extrahepatische Metastasierung und ohne makrovaskuläre Infiltration unter folgenden Voraussetzungen eine Standard-Exception (SE) auf der Warteliste zur Lebertransplantation erhalten: HCC-Nachweis durch Biopsie alleine oder bei Tumoren 1 cm bis ≤ 2cm durch 2 kontrastmittel-verstärkte Verfahren (CE-MRT, CE-CT oder CE-US) oder bei Tumoren > 2cm durch ein kontrastmittel-verstärktes Verfahren (CE-MRT, CE-CT).
Da eine Richtlinie verbindlich ist, sollte sie immer einer evidenzbasierten Medizin folgen. Die Beschlüsse in dieser Richtlinie zur Erteilung einer SE im Kontext HCCs sind nicht nachvollziehbar, da der Einsatz des kontrast-verstärkten Ultraschalls (CE-US) zur Diagnose einer HCC- Läsion >2 cm ignoriert wurde.
In der aktuellen S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des HCCs, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) unter Mitwirkung der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) erarbeitet worden ist, sind im Besonderen Qualitätsindikatoren beziehungsweise standardisierte Methoden der Qualitätssicherung zur Diagnostik und Therapie des HCCs berücksichtigt worden.
Hierin wird empfohlen, einen unklaren Leberrundherd in einer Hochrisikogruppe unabhängig von seiner Größe mittels dynamischem, kontrastmittel-verstärktem Ultraschall (CE-US), CE-CT oder CE-MRT abzuklären (Empfehlungsgrad A, Evidengrad 2b, starker Konsens) (1). Die arterielle Hypervaskularisation mit raschem Auswaschen des Kontrastmittels und relativer Kontrastumkehr zum umgebenden Leberparenchym ist bei Patienten mit einem hohen HCC-Risiko in einem der drei bildgebenden Verfahren CE-US, CE-CT oder CE-MRT ein ausreichend sicherer Nachweis eines HCCs.
Der CE-US ist heutzutage ein Standardverfahren in der Charakterisierung von Lebertumoren, bietet gegenüber den Schnittbildverfahren wesentliche Vorteile (u.a. Echtzeit-Untersuchung, fehlende Strahlenbelastung, sehr gute Verträglichkeit des Kontrastmittels, kostengünstig) und ist in den europäischen Leitlinien empfohlen (2). Im Frühsommer 2016 wurde CE-US in den USA bei Erwachsenen und Kindern für die Lebertumordiagnostik zugelassen (3). Neben der hochgradigen Evidenz der Arbeiten zum CE-US, die in der deutschen S3-Leitlinie berücksichtigt wurden (4, 5), konnte in einer Meta-Analyse gezeigt werden, dass die diagnostische Genauigkeit von CE-US im paarweisen Vergleich sogar eine statistisch signifikant höhere Spezifität als die MRT (0,86 vs. 0,78; p = 0,014) und eine statistisch signifikant höhere Sensitivität als die CT (0,88 vs. 0,78; p = 0,030) erreicht (6).
Die aktuell veröffentlichte Lebertransplantations-Richtlinie ignoriert damit die Evidenz zum Stellenwert des CE-US in der Diagnostik des HCCs. Sie erweckt den Eindruck, dass Patienten mit HCC-verdächtigen Läsionen >2 cm, die potentiell zur Lebertransplantation gelistet werden, eine eingeschränktere Diagnostik erhalten sollen als die HCC-Patienten, die nicht für eine Lebertransplantation vorgesehen sind. Da die Evaluation zur Lebertransplantation ausschließlich interdisziplinär (Hepatologie, Onkologie, Radiologie, Chirurgie) in universitären Transplantationszentren erfolgt, muss für alle drei bildgebenden Verfahren (CE-US, CE-CT oder CE-MRT) sowohl deren Verfügbarkeit als auch eine hohe Expertise in der Durchführung und Interpretation der Befunde vorausgesetzt werden. Falls es in Transplantationszentren Probleme in dem Erwerb der Kompetenz für den Einsatz von CE-US gibt, wird auf die zahlreichen Kurs-Angebote der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin hingewiesen (www.degum.de)
Aufgrund der zurückgehenden Organangebote und der niedrigen Zahl von Organspendern sollte man den Patienten eine kostengünstige, nebenwirkungsarme, jederzeit wiederholbare Diagnostik, welche die Probleme der Sensitivität und Spezifität von CE-MRT und CE-CT ausgleicht, nicht vorenthalten.
Die aktuelle Lebertransplantations-Richtlinie ist bzgl. der HCC Diagnostik ein medizinischer Rückschritt und dient nicht zur Verbesserung der Versorgung der Patienten.
Andrej Potthoff1, Josef Menzel2, Dirk Becker3, Christoph F. Dietrich4, Michael J. Gebel1, Deike Strobel5
(1Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover; 2DEGUM Sektionsvorstand Innere Medizin, Medizinische Klinik II, Klinikum Ingolstadt, Krumenauer Str. 25, 85049 Ingolstadt; 3DEGUM Präsident, Innere Medizin – Gastroenterologie, Krankenhaus Agatharied Norbert-Kerkel-Platz, 83734 Hausham; 4Medizinische Klinik 2, Caritas Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim, Uhlandstr. 7, 97980 Bad Mergentheim; 5Medizinische Klinik 1, Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie, Universitätsklinikum Erlangen, Ulmenweg 18, 91054 Erlangen)
Literaturhinweis
- Greten TF, Malek NP, Schmidt S, Arends J, Bartenstein P, Bechstein W, Bernatik T, et al. [Diagnosis of and therapy for hepatocellular carcinoma]. Z Gastroenterol 2013;51:1269-1326.
- Claudon M, Dietrich CF, Choi BI, Cosgrove DO, Kudo M, Nolsoe CP, Piscaglia F, et al. Guidelines and good clinical practice recommendations for contrast enhanced ultrasound (CEUS) in the liver--update 2012: a WFUMB-EFSUMB initiative in cooperation with representatives of AFSUMB, AIUM, ASUM, FLAUS and ICUS. Ultraschall Med 2013;34:11-29.
- Seitz K, Strobel D. A Milestone: Approval of CEUS for Diagnostic Liver Imaging in Adults and Children in the USA. Ultraschall Med 2016;37:229-232.
- Strobel D, Seitz K, Blank W, Schuler A, Dietrich C, von Herbay A, Friedrich-Rust M, et al. Contrast- enhanced ultrasound for the characterization of focal liver lesions--diagnostic accuracy in clinical practice (DEGUM multicenter trial). Ultraschall Med 2008;29:499-505.
- Seitz K, Bernatik T, Strobel D, Blank W, Friedrich-Rust M, Strunk H, Greis C, et al. Contrast-enhanced ultrasound (CEUS) for the characterization of focal liver lesions in clinical practice (DEGUM Multicenter Trial): CEUS vs. MRI--a prospective comparison in 269 patients. Ultraschall Med 2010;31:492-499.
- Floriani I, D'Onofrio M, Rulli E, Chen MH, Li R, Musicco L. Performance of imaging modalities in the diagnosis of hepatocellular carcinoma: a systematic review and meta-analysis. Ultraschall Med 2013;34:454-462
Replik von Prof. Dr. med. Strassburg und Prof. Dr. med. Nashan
Aus Sicht einer speziellen Fachgesellschaft ist Ihre Diskussion nachvollziehbar, sie ist in ihrer Schlussfolgerung allerdings nicht schlüssig. Das Problem hierbei ist die irreführende Vermischung von verschiedenen Aspekten der Versorgung von HCC-Patienten. Eine Richtlinie regelt die Allokation von in geringer Zahl verfügbaren Organen an Patienten, bei denen ein hoher Transplantationserfolg zu erwarten ist, wobei Chancengleichheit, Transparenz, Reproduzierbarkeit und Fairness unter Wahrung des aktuellen Standes der Wissenschaft beachtet werden. Sie ist normativ bindend.
Eine Leitlinie beschreibt den Stand der Wissenschaft zur Diagnostik und Therapie, ohne eine verbindliche Regel zur Organallokation zu definieren oder definieren zu können. Die revidierte HCC-Richtlinie wurde, wie dem publizierten Dokument im Deutschen Ärzteblatt zu entnehmen ist, zwischen 2011 und 2015 in 15 Sitzungen fachübergreifend diskutiert und mehrfach in den Kommissionssitzungen der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) besprochen und konsentiert. Schließlich wurde die Fachöffentlichkeit im September 2015 durch Publikation des Entwurfs im Internet zur Kommentierung aufgefordert, eine Möglichkeit auf die die DEGUM verzichtet hat.
Bei der Allokation von Organen zur Lebertransplantation beim HCC mit Standard Exception (SE) ist der entscheidende Punkt die valide, reproduzierbare und bestmöglich dokumentierte Größe und Anzahl von HCC-Herden vor dem Hintergrund der sogenannten Milan-Kriterien. Hier ist der internationale Konsens, der vom United Network of Organ Sharing (UNOS) und anderen Organisationen zugrunde gelegt wird, die Schnittbildgebung mit Kontrastmittel verstärktem MRT und CT.
Die letztliche Entscheidung zur Inklusion oder Exklusion eines Patienten für die therapeutische Option der Lebertransplantation muss im Interesse der Patienten auf den Wartelisten aber auch des entscheidenden Transplantationsteams sicher dokumentiert und langfristig nachvollziehbar sein. CEUS ist in der Lage, mit hoher Genauigkeit ein HCC zu diagnostizieren. Allerdings erfüllt er nach Ansicht der Mehrheit der beteiligten Experten wegen der Untersucherabhängigkeit und ungenaueren Dokumentation nicht die Anforderungen als alleinige Modalität bei Tumoren > 2 cm für diese für den Patienten tiefgreifende Entscheidung eingesetzt zu werden. Dies spiegelt sich in rezenten Publikationen (z.B. Bruix et al, Gastroenterology 2016;150, 835-853, Seite 837) und teils auch in der von Ihnen zitierten S3-Leitlinie in Tabelle 10 wider, in der eine Sensitivität für den CEUS von 26-87% aufgeführt wird. Gerade diese untersucher abhängige hohe Unsicherheit dokumentiert, dass CEUS in Verbindung mit der Notwendigkeit einer hinsichtlich Größe und Zahl reproduzierbaren Dokumentation klar ungeeignet ist für die nachvollziehbare Festlegung der SE Kriterien. Der Verweis auf die beim CEUS fehlende Strahlenbelastung ist vor dem Hintergrund der Möglichkeit einer MRT-Bildgebung in diesem Zusammenhang irreführend.
Die aktuelle Revision der HCC-Richtlinie verbessert in entscheidendem Maße die Auswahl von Patienten für die Lebertransplantation und damit die Versorgung vor dem Hintergrund der verfügbaren Evidenz. Sie definiert erstmalig die technischen Voraussetzungen der Schnittbildgebung und deren Dokumentation und präzisiert neben der stadienabhängigen Diagnostik weitere Aspekte. Sie wurde erarbeitet in intensiver Auseinandersetzung mit den EASL-EORTC und DGVS S3-Leitlinien sowie den Standards in anderen internationalen Transplantationsprogrammen (UNOS), wie im Kommentar ausgeführt. Diese Richtlinienrevision erhöht die Transparenz, Dokumentationsqualität, Nachvollziehbarkeit und Zentrenunabhängigkeit der Listungsentscheidung und stellt damit einen signifikanten Fortschritt der Versorgung dar.
Prof. Dr. med. C. P. Strassburg (Federführender AG RL BÄK Leber, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Bonn)
Prof. Dr. med. B. Nashan (stellv. Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation, Direktor der Klinik für Hepatobiliäre Chirurgie und Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) © /aerzteblatt.de

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