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Medizin

Ohne Flugbegleiter: Wie das HI-Virus in die USA gelangte

Donnerstag, 27. Oktober 2016

/wikipedia

Tucson – Die Rekonstruktion der Gene von HI-Viren, die mit einer „RNA-Press­lufthammer“-Methode in acht alten Blutproben aus den 1970er Jahren gelang, entwirft ein neues Bild vom Beginn der HIV-Epidemie in den USA. Die Studie in Nature (2016; doi: 10.1038/nature19827) widerlegt zudem die urbane Legende, nach der ein sexuell „hyperaktiver“ Flugbegleiter das Virus eingeschleppt haben sollte.

Als Mitarbeiter der Centers for Disease Control and Prevention im Jahr 1981 erstmals über eine Häufung von Kaposi-Sarkomen und Pneumocystis Pneunomien bei homosexuellen Männern in New York und Kalifornien berichteten, hatte das HI-Virus in den USA längst Fuß gefasst. Anfangs gingen die Forscher noch davon aus, dass die Infektion innerhalb weniger Monate zur Immunschwäche Aids führt.

Heute ist bekannt, dass die Latenzphase mehrere Jahre dauert. Schon bald wurden die HIV-Antikörper in älteren archivierten Blutproben aus den 1970er Jahren entdeckt. So waren 6,6 Prozent der Blutproben HIV-positiv, die homosexuelle Männer 1978/79 in New York im Rahmen einer Studie zu Hepatitis B abgegeben hatten und die seither tiefgekühlt aufbewahrt wurden. In 2.231 Blutproben von homosexuellen Männern, die eine Klinik in San Francisco 1978/79 archiviert hatte, fielen die Antikörpertests bei 3,7 Prozent positiv aus.

Inzwischen ist es möglich, das Genom von Viren zu sequenzieren. Da es bei der Replikation von Viren zu Fehlern kommt, die als Mutationen bezeichnet werden, unterscheidet sich das Erbgut von Viren umso mehr, je weiter fortgeschritten die Epidemie ist. Der Vergleich der Virus-Genome, die von verschiedenen Patienten identifiziert wurden, ermöglicht eine Stammbaum-Analyse (Phylogenie), und da die Mutationsgeschwindigkeit von HI-Viren bekannt ist, kann der Zeitpunkt der Epidemie zeitlich eingegrenzt werden.

So weit die Theorie. In der Praxis halten auch tiefgekühlte Serumproben nicht ewig und Michael Worobey von der Universität von Tucson in Arizona stand vor dem Problem, dass die HI-Viren in den fast 40 Jahre alten Serumproben sich mehr oder weniger zersetzt hatten. Worobey löste das Problem, wie er schreibt mit einer „RNA-Presslufthammer“-Methode. Er zerlegt die RNA-Moleküle, die in den Blutproben überlebt hatten, in noch kleinere Bruchstücke, um aus den Puzzleteilen später das Virus zu rekonstruieren. Dies gelang bei fünf Serumproben aus New York und bei drei Serumproben aus San Francisco. Es handelt sich um acht der neun ältesten bisher in den USA nachgewiesenen HI-Viren.

Die Stammbaum-Analyse ergab, dass die HI-Viren vermutlich 1971 (95-Prozent-Konfidenzintervall 1969-1973) von Haiti nach New York eingeschleppt wurden. Die ältesten Viren aus den US-Metropolen datiert Worobey auf das Jahr 1972 (1969-1974). Kurz darauf begann die Epidemie in San Francisco. Haiti hatten die Viren 1967 (1963 bis 1971) wahrscheinlich von Zaire aus erreicht.

Die Herkunft aus der Karibik ist plausibel, da Haiti damals eine beliebte Destination für einen Sextourismus von homosexuellen Männern war. Nach Haiti könnten die Viren im Körper von Angestellten gelangt sein, die von den Vereinten Nationen in die ehemalige Kolonie Belgiens entsandt worden waren. (Dass internationale Hilfsorganisationen Auslöser von Epidemien sein können, hatte zuletzt Haiti zu spüren bekommen. UN-Soldaten aus Nepal haben die Erreger der Cholera bei einer Friedensmission 2010 eingeschleppt).

Die Infektionswege lassen sich jedoch selten einzelnen Personen zuordnen. Dass es hier vorschnell zu Schuldzuweisungen kommen kann, zeigt der Fall von „Patient Zero“, dessen Blutproben Worobey ebenfalls untersuchte. Patient Zero war den Gesundheitsbehörden in Kalifornien in ihrer Untersuchung der Epidemie Anfang der 1980er Jahre aufgefallen. Der Mann hatte nicht nur ein ausschweifendes Sexualleben. Er konnte seine Sexualpartner zum großen Teil auch namentlich benennen.

Dies führte zu der fälschlichen Annahme, dass er der Auslöser der Epidemie war. Der Journalist Randy Shilts hatte den Patienten in dem Bestseller „And the Band Played On“ als den Frankokanadier Gaétan Dugas identifiziert, dessen Beruf als Flugbegleiter Nährstoff für weitere Spekulationen war. Die Analyse der HI-Viren aus dem Blut von Dugas, der 1984 an Aids gestorben war, belegt laut Worobey zweifelsfrei, dass er nicht als Index-Patient infrage kommt.

Der Historiker Richard McKay von der Universität Cambridge kann zudem nachweisen, dass Shilts in seinen Recherchen einem Missverständnis aufgesessen war. In den Unterlagen der US-Behörden war Dugas als Fall O57 geführt worden. Das O stand für „Out(side)-of-California“ und nicht wie Shilts angenommen hatten für Null (Zero), womit manchmal Index-Patienten einer Epidemie gekennzeichnet wurden. © rme/aerzteblatt.de

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