Politik
Streit um Versandhandelsverbot für rezeptpflichtige Medikamente
Freitag, 28. Oktober 2016
Berlin – In der vergangenen Woche hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gekippt (Az. C-148/159). Das erlaubte Versandapotheken wie der niederländischen Kette DocMorris, Bonuszahlungen an deutsche Patienten zu leisten und so deren Zuzahlung zu verringern. Während Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nun ein Gesetz für ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland vorbereitet, will der Koalitionspartner SPD davon nichts wissen. In der Bundesregierung bahnt sich das nächste Streitthema an.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes bestätigt, dass es an einem Gesetz arbeitet, das den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verbietet. Ein Zeitplan stünde derzeit aber genausowenig fest, wie konkrete Inhalte, sagte eine Sprecherin. Es gehe darum, die flächendeckende Versorgung über ortsnahe Apotheken auf hohem Niveau sicherzustellen, sagte sie. Gröhe hatte angekündigt, bei den Koalitionsfraktionen für das Gesetz werben zu wollen.
Die SPD signalisierte aber prompt Ablehnung. „Gerade für chronisch kranke Menschen in strukturschwachen Gebieten mit wenigen Apotheken wäre es unzumutbar, ihnen diesen einfachen Weg der Arzneimittelversorgung abzuschneiden“, erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach heute in Berlin. Er schlug vor stattdessen darüber nachzudenken, die Beratungsleistung in stationären Apotheken besser zu vergüten. Lauterbach betonte, die EU-Richter hätten die Benachteiligung von Patienten und Kunden durch die Preisbindung in Deutschland beanstandet. „Darauf können wir nicht so reagieren, dass wir sie noch mehr benachteiligen und den Versandhandel komplett abschaffen.“
EuGH kippt Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente
Luxemburg/Berlin – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gekippt. Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise benachteilige Versandapotheken im EU-Ausland und beschränke somit den freien Warenverkehr in der EU, befand der EuGH ...
Auch die gesetzlichen Krankenkassen kritisierten Gröhes Pläne. „Seit Jahren ergänzen Online-Apotheken die traditionellen Apotheken bei der Medikamentenversorgung der Menschen“, erklärte der Vize-Chef des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Johann-Magnus von Stackelberg. Gerade der Versandhandel könne dazu beitragen, die Versorgung von Patienten, die bereits heute im ländlichen Raum längere Anfahrtswege zu niedergelassenen Apotheken haben, zu verbessern. „Im 21. Jahrhundert eine ganze Branche per Gesetz vom Online-Versandhandel ausschließen zu wollen, erscheint nicht zeitgemäß.“
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, sagte der Bild, neue Vertragsmodelle ermöglichten auch Preisvorteile für die Solidargemeinschaft. „Das reflexhafte Verbot des Versandhandels von Arzneimitteln ist falsch.“ Auch die Apotheker könnten sich neuen Vertriebsformen nicht gänzlich verschließen. Ebenso reagierte Sigrid König, Vorständin des BKK Landesverbandes Bayern. „Der Versand von rezeptpflichtigen Arzneimitteln bietet auch große Chancen für die Versorgung“, sagte sie. Im Sinne der Versicherten sollte die restriktive deutsche Versandhandelsregelung deshalb angepasst werden. Damit die national ansässigen Apotheken im Wettbewerb nicht benachteiligt würden, müssten die Arzneimittelpreise der Pharmaindustrie in Europa harmonisiert werden.
Branchenvertreter begrüßten hingegen die Verbotspläne. Der Apothekerverband ABDA nannte das geplante Verbot „ebenso notwendig wie vernünftig“, damit die Vor-Ort-Versorgung durch Apotheken auch in Zukunft gesichert sei. „Ein Verbot ist ganz im Sinne der Patienten, vor allem der Alten, Kranken und Schwachen“, sagte Thomas Preis, der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein. Es sei „alternativlos“.
Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) unterstützte Bundesminister Gröhe. Sie betonte, es müsse verhindert werden, dass Apotheken in Stadtrandlagen und wenig frequentierten ländlichen Gegenden schließen müssten. Diese seien für den Erhalt einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung „sehr wichtig“.
„Wer sonst außer Apotheken stellt hier persönliche Beratung, unverzichtbare Notfallversorgung oder Nacht- und Notdienste sicher?“, fragte Hummel. Bayern will voraussichtlich in der ersten Novemberhälfte eine Bundesratsinitiative für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneien einbringen. Ein entsprechender Änderungsantrag solle in gut zwei Wochen im Gesundheitsausschuss des Bundesrats beraten werden, teilte das Gesundheitsministerium in München mit.
© dpa/afp/kna/may/aerzteblatt.de

Gesundheitspolitik und die EU
Georg Engel

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