Politik
Pflegereform: Das sollten Ärzte und Pfleger jetzt wissen
Freitag, 28. Oktober 2016
Berlin – In diesen Tagen bekommen rund 2,8 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland Post von ihrer Pflegekasse. Darin werden sie erfahren, was sich zum 1. Januar 2017 mit der Pflegereform für sie ändert und wie sie sich während der Übergangsphase verhalten sollen. Ärzte und Pfleger müssen in den nächsten Wochen vermehrt mit Rückfragen ihrer Patienten rechnen. Wichtige Fragen und Antworten.
Was ändert sich?
Aus den bisher gültigen drei Pflegestufen werden ab Januar fünf Pflegegrade. Zudem ändert sich das Begutachtungsverfahren des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) grundlegend. Künftig wird nicht mehr nach Minuten abgerechnet, sondern nach dem Grad der Selbstständigkeit. Mit Hilfe eines neuen Fragebogens beurteilen die MDK-Gutachter einzelne Fähigkeiten in den Bereichen Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, selbstständiger Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen und Gestaltung des Alltagslebens.
Im Bereich Mobilität vergeben die Gutachter dabei Punkte in den Bereichen Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs und Treppensteigen. Zu jedem Bereich vergeben sie Punkte von 0 (selbstständig) bis 3 (unselbstständig). Am Ende werden die Punkte zusammengezählt und der Pflegebedürftige in den der Summe entsprechenden Pflegegrad eingeordnet. Ab einer Summe von 12,5 gilt zum Beispiel der Pflegegrad 1, ab einer Summe von 90 der Pflegegrad 5.
Wie wird Selbstständigkeit beurteilt?
Die neue Begutachtung geht über den Hilfsbedarf bei Körperpflege, Mobilität und Ernährung hinaus. Und die zusätzlich bewerteten Bereiche sind insbesondere für Demenzerkrankte, aber auch für andere Pflegebedürftige wichtig. Können sie sich zeitlich gut orientieren, können sie sich erinnern? Sind sie aggressiv gegenüber Pflegenden? Können sie ihre Medikamente selbst einnehmen und den Arzt aufsuchen? Kann der Pflegebedürftige seinen Alltag selber organisieren, hat er einen Tag-Nacht-Rhythmus? Wie wird alles finanziert?
Werden künftig auch Demenzerkrankte gleichberechtigt einbezogen?
Ja. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff bewirkt, dass künftig nicht mehr nur Personen mit körperlicher Einschränkung voll in den Leistungskatalog einbezogen werden, sondern gleichberechtigt auch 1,6 Millionen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und schwindender geistiger Kraft wie Demenzerkrankte.
Muss sich der Pflegebedürftige für die Überleitung in das neue System bei der Pflegekasse melden?
Nein. Die Pflegekasse meldet sich bei ihm. Er muss also keinen neuen Antrag stellen und sich auch nicht erneut begutachten lassen. Die Überleitung in die neuen Pflegegrade verläuft automatisch. Der Überleitungsbescheid enthält Informationen zu den neuen Leistungen. Sollten Pflegebedürftige aber bis Weihnachten versehentlich keinen Bescheid erhalten haben, sollten sie sich bei ihrer Pflegekasse melden.
Sind die Leistungen geringer als vorher?
Nein. Es gilt Bestandsschutz. Pflegebedürftige werden von den Pflegestufen in die entsprechenden Pflegegrade übergeleitet. Pflegebedürftige mit körperlichen Einschränkungen erhalten anstelle der bisherigen Pflegestufe den nächst höheren Pflegegrad. Pflegebedürftige mit dauerhaft erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz etwa wegen Demenzerkrankungen werden zwei Pflegegrade höher eingestuft.
Was bedeutet das im Einzelnen?
Ein Pflegebedürftiger mit körperlichen Einschränkungen, der jetzt die Pflegestufe 1 hat, kommt automatisch in den Pflegegrad 2. Ein Pflegebedürftiger, der in der Pflegestufe 1 ist und zudem in seinen Alltagskompetenzen eingeschränkt ist, bekommt automatisch den Pflegegrad 3 und so weiter. Für die höchste Pflegestufe 3 gibt es dann den Pflegegrad 4 und mit eingeschränkten Alltagskompetenzen den höchsten Pflegegrad 5.
Wer bekommt den Pflegegrad 1?
Den Pflegegrad 1 gibt es damit praktisch nur für Pflegebedürftige, die ihren Antrag im neuen Jahr stellen. Der MDK rechnet damit, dass 2017 zusätzlich rund 200.000 Menschen erstmals Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten werden. Um den erwarteten Antragsandrang aufzufangen, sollen etwa 300 zusätzliche Gutachter eingestellt werden.
Sollte man den Antrag noch 2016 oder erst 2017 stellen?
Taktieren bei der Antragstellung bringt in aller Regel nichts. Für die heutigen und auch für den überwiegenden Teil der zukünftigen Leistungsbezieher gibt es höhere Leistungen als bisher. Grundsätzlich gilt: Begutachtung und Leistungen richten sich nach dem Tag der Antragstellung. Dabei gibt es eine klare zeitliche Grenze. Wer vor dem 1. Januar 2017 einen Antrag stellt, wird nach der alten Regel begutachtet und eingestuft und dann übergeleitet. Erst vom neuen Jahr an wird im neuen System begutachtet. Das heißt: Wer jetzt noch pflegebedürftig wird, sollte auch jetzt einen Antrag stellen, erläuterte Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS). Alle anderen sollten den Antrag nach dem 1. Januar 2017 stellen.
Was gilt für Pflegebedürftige in Heimen?
Für die Pflegegrade 2 bis 5 sind die pflegebedingten Eigenanteile gleich hoch und erhöhen sich nicht mehr durch steigende Pflegebedürftigkeit. Für übergeleitete Leistungsempfänger, deren Eigenanteil im Januar höher ist als bisher, zahlt die Pflegekasse die Differenz.
Gibt es Verbesserungen für pflegende Angehörige?
Ja. Der Gesetzgeber will, dass der Pflegebedürftige möglichst lange in seinem persönlichen Umfeld bleiben kann. Daher stärkt er privates Engagement für die schwere Pflegearbeit – vor allem in der Familie. Pflegende Angehörige sollen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert werden. Zudem werden Hilfen – etwa für Urlaub oder bei Krankheit – verbessert.
Was kostet die Umstellung des Systems?
Die Leistungen im neuen System werden jährlich um gut sechs Milliarden Euro ausgeweitet. Dies wird durch eine Anhebung des Pflegversicherungsbeitrages um insgesamt 0,5 Prozentpunkte auf 2,55 Prozent finanziert. Für die Überleitung muss Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einmalig zusätzlich 4,4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, damit Pflegebedürftige im neuen System tatsächlich nicht schlechter gestellt werden. Das Geld soll aus den Rücklagen der Pflegeversicherung kommen.
© dpa/fos/aerzteblatt.de

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