Medizin
„Cranberry“-Kapseln beugen Harnwegsinfektionen in Studie nicht vor
Dienstag, 1. November 2016
New Haven – Die tägliche Einnahme von Kapseln mit Proanthocyanidin, das aus der amerikanischen Cranberry gewonnen wird, hat in einer randomisierten Doppelblindstudie Bewohnerinnen von Altersheimen nicht vor Harnwegsinfektionen geschützt, wie eine Publikation im amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; doi: 10.1001/jama.2016.16141) zeigt.
Die amerikanische Cranberry (Vaccinium macrocarpon), die im Geschmack sehr herb und deutlich saurer ist als die deutsche Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea), ist in den USA seit langem ein Hausmittel gegen Harnwegsinfektionen.
Die Anwendung reicht in die Zeit vor Einführung der Antibiotika zurück, als die Infektionen durch Säuerung des Harns behandelt wurden. Dazu müssen allerdings größere Mengen verzehrt werden, was heute die wenigsten Menschen schaffen, schon gar nicht Bewohnerinnen von Altersheimen, die eine wichtige Zielgruppe für die präventive Behandlung mit Cranberries sind.
Die Anbieter sind deshalb dazu übergegangen, Extrakte in Form von Kapseln anzubieten. Infektiologen der Yale School of Medicine in New Haven/Connecticut haben die Kapseln eines US-Herstellers jetzt in einer sorgfältig geplanten randomisierten Studie an 185 Heimbewohnerinnen (mittleres Alter 86,4 Jahre) getestet. Einschlusskriterien waren weibliches Geschlecht, ein Alter über 65 Jahre und ein langfristiger Aufenthalt in einem Altersheim. Frühere Harnwegsinfektionen waren keine Voraussetzung.
Allerdings hatten zu Beginn der Studie, was bei Frauen in dem Alter nicht ungewöhnlich ist, 31 Prozent der Teilnehmerinnen eine positive Bakterienkultur sowie Entzündungszellen im Urin (Bakteriurie plus Pyurie). Die Untersuchungen wurden im Verlauf eines Jahres alle zwei Monate wiederholt. In dieser Zeit nahmen die Frauen täglich zwei Kapseln ein, die entweder ein Placebo oder jeweils 36 mg Proanthocyanidin enthielten. Dies entspricht der Menge, die in 20 Unzen (566 Gramm) Cranberry-Saft enthalten sind.
Primärer Endpunkt waren eine Bakteriurie plus Pyurie in einer der zweimonatlichen Harnuntersuchungen. Wie Manisha Juthani-Mehta und Mitarbeiter der Yale School of Medicine berichten, nahmen 80 Prozent der Frauen ihre Kapseln regelmäßig ein. Trotz dieser guten Adhärenz erzielten die Kapseln keine Wirkung. Positive Harntests mit Bakteriurie plus Pyurie traten bei 29,1 Prozent der mit Proanthocyanidin behandelten Frauen auf gegenüber 29,0 Prozent in der Placebo-Gruppe.
Auch in sekundären Endpunkten wie der Anzahl der symptomatischen Harnwegsinfektionen (10 versus 12 Episoden), der Sterblichkeit (17 versus 16 Todesfälle), der Häufigkeit von Hospitalisierungen, der Anzahl der Antibiotika-Verordnungen (wegen Verdachts auf Harnwegsinfektionen oder insgesamt) gab es keine Unterschiede.
Für Lindsay Nicolle von der Universität von Manitoba in Winnipeg/Kanada sind die Ergebnisse der Studie ein klarer Beleg dafür, dass Cranberry-Extrakte keinen Nutzen in der Prävention von Harnwegsinfektionen haben. Die fortgesetzte Bewerbung von Cranberries in den Medien stimme nicht mit den wissenschaftlichen Daten überein, da in Studien wiederholt kein Nutzen nachgewiesen werden konnte, schreibt die Editorialistin. © rme/aerzteblatt.de

@doc.nemo Zustimmung
Vor wenigen Jahren gab es in Belgien eine fieberhafte Suche nach der Ursache von vermehrten Nephropathien und Nierenkarciomen, als deren Ursache sich dann ein "Naturmittel" zum Gewichtsabnehmen herausstellte, das übers Internet aus China importiert wurde.

Das Pferd von hinten aufgezäumt...
https://www.sciencedaily.com/releases/2009/03/090309121937.htm
Diese Adhäsion kann wiederum von verschiedenen Faktoren abhängig sein, wenn z.B. Cranberry-Saft sehr sauer ist, könnte z.B. der pH-Wert des Urins eine Rolle spielen. In der o.g. Studie wurden weder der pH-Wert gemessen noch wurde die Adhäsionsfähigkeit von E. coli in den Urinproben überprüft. Damit wurde ohne Not auf experimentelle Zusatzinformationen zum vermuteten Wirkmechanismus verzichtet, was das negative Studienergebnis deutlich aufgewertet hätte. In Deutschland ist es z.B. üblich bei der Urindiagnostik einen Hemmstofftest zu machen (Hemmung von B. subtilis auf einer extra Platte um eine Verfälschung der Keimzahl durch Antibiotika zu erkennen). Ohne Hemmstofftest kann man in dieser Studie die Keimzahlen im Urin anzweifeln, ein weiteres Manko dieser Studie. Mit Hemmstofftest hätte man nebenbei eine Zusatzaussage zu einer möglichen direkten Wirkung auf die Erreger von Harnwegsinfektionen gehabt. Gerade in den Situationen, wo in vitro-Testungen möglich sind, sollte man damit beginnen und erst dann, wenn man eine ungefähre Vorstellung von der Dosis-Wirkungsbeziehung hat, dann sollte man mit Studien am Menschen beginnen. Gewiß, mit Cranberry-Kapseln kann man nicht viel Schaden anrichten, trotzdem empfinde ich das Vorgehen in dieser Studie als unwissenschaftlich.
Wenn Phytopharmaka in verarbeiteter Form nicht wirken, heißt dies nicht "zurück zur Natur" sondern nur, daß wir den Wirkmechanismus noch nicht verstanden haben.
Nebenbei wurde in der o.g. Studie auf multiresistente Erreger eingegangen. Dabei muß man aufpassen, daß sich die Definitionen von MRGN in Deutschland und in anderen Ländern deutlich unterscheiden. Ein E. coli mit Resistenz gegen Unacid, Cefazolin und Cotrim gilt in der Studie als multiresistent, bei uns wäre dieses Resistenzmuster weit unterhalb des Aufmerksamkeitsradars.

@blumenschein
Wenn dem so wäre, würden wir uns verschimmeltes Brot auf infizierte Wunden legen, hätten die Herzinsuffizienz mit Fingerhutextrakt behandelt und Krebs mit Eibensud. Glücklicherweise sind wir schon einige Jahrhunderte weiter, deshalb schließe ich mich der Vermutung von Practicus gerne an. Vielleicht ist es ja so ähnlich wie beim Nieren- und Blasentee: das wirksame Agens ist Wasserstoffoxid. Wonach das schmeckt, ist dabei ziemlich egal.

Die Fehler beginnen schon bei der falschen Überschrift

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