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Historiker mahnt vertiefte Aufarbeitung von NS-Medizinverbrechen an

Montag, 31. Oktober 2016

Berlin – Die Aufarbeitung der Medizinverbrechen zu Zeiten des Nationalsozialismus ist nach Ansicht von Historiker Dominik Groß noch lange nicht abgeschlossen. „Mit jeder Ant­wort stellen sich neue Fragen“, sagte Groß der Welt am Sonntag. Mit mehr als 45 Pro­zent hätte die Ärzteschaft die höchste NSDAP-Mitgliedsrate unter allen akade­mischen Berufsgruppen gehabt, betonte der Experte, der seit 2005 Direktor des Aachener Insti­tuts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin ist.

Viele NS-belastete Medizinprofessoren hätten in der Bundesrepublik ihre Unikarrieren nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt, erläuterte Groß. Deren Schüler wiederum fühl­ten sich seiner Darstellung zufolge ihren akademischen Lehrern verpflichtet und hatten wenig Interesse an einer Aufarbeitung. „Erst jetzt, in der dritten, vierten Generation, ist eine weitreichende Distanzierung festzustellen.“

Groß beschäftigt sich derzeit vor allem mit der Rolle der Leibärzte von prominenten NS-Politikern. Diese hätten in ihren Disziplinen oft eine rasante Karriere meist zulasten von verdrängten jüdischen Medizinern hingelegt, obwohl viele von ihnen „keine kundigen Wissenschaftler“ gewesen seien.

Der Historiker widersprach in diesem Zusammenhang auch Behauptungen, wonach aus den Menschenversuchen der NS-Ärzte wesentliche medizinische Erkenntnisse gewonnen worden seien. „Die meisten Versuchsdesigns hielten wissenschaftlichen Kriterien nicht stand, ganz abgesehen von der moralischen Verwerflichkeit.“

Stattdessen habe Deutschland durch Flucht, Deportation und Ermordung von „nicht-arischen Medizinern“ bis 1945 viele hervorragende Fachleute verloren. „Letztlich war die deutsche Medizin nach Kriegsende auf einem niedrigeren fachlichen Stand als zuvor.“

Der Deutsche Ärztetag hatte sich bereits 2012 intensiv mit der Aufarbeitung der Ge­schichte befasst. Die Delegierten hatten in Form einer „Nürnberger Erklärung“ ein­stim­mig zu den Menschenrechtsverletzungen und Untaten der Medizin zu Zeiten des Natio­nal­sozialismus Stellung genommen. Die Erklärung enthält den Hinweis, dass medizi­ni­sche Fachgesellschaften ebenso wie Vertreter der universitären Medizin und renom­mierte biomedizinische Forschungs­einrichtungen beteiligt waren.

„Wir bekunden unser tiefstes Bedauern darüber, dass Ärzte sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, gedenken der noch lebenden und der bereits verstorbenen Opfer sowie ihrer Nachkommen und bitten sie um Verzeihung“, heißt es.

Der Deutsche Ärztetag verpflichte sich darauf hinzuwirken, dass die weitere historische Forschung und Aufarbeitung finanziell wie institutionell von den Gremien der Ärzteschaft gefördert werde, auch in Form eines unbeschränkten Zugangs zu den Archiven.

© kna/aerzteblatt.de

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