Medizin
„Ein funktionstüchtiges Spermienreservoir ist unerlässlich für die Befruchtung.“
Dienstag, 8. November 2016
Leipzig – Glykokonjugate auf dem Eileiterepithel und der Spermienplasmamembran spielen eine Rolle bei der Bildung eines Spermienreservoirs. Das zeigen Studien aus München und Dublin. Die Formierung eines sogenannten Spermienreservoirs wurde bereits in vielen Spezies nachgewiesen, nicht aber beim Menschen. Das Reservoir im Eileiter sehen Forscher jedoch als unerlässlich an für eine erfolgreiche Befruchtung. Ihre Ergebnisse präsentierten sie beim 68. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Leipzig.
Eine Ursache einer erfolglosen Fertilisation könnte eine Funktionsstörung im Spermienreservoir sein. In einer Studie untersuchten Forscher um Susanne Bour und Matthias Trottmann von der Urologischen Klinik und Poliklinik Klinikum der Universität München (LMU) daher den Bindungsmechanismus von humanen Spermien an das Eileiterepithel anhand von 15 Eileitern und 10 Ejakulaten.
Ihr Fokus lag dabei auf Glykoproteinen, die sich auf der Oberfläche der Spermienplasmamembran und des Eileiterepithels befinden. Erst kürzlich wurde gezeigt, dass verschiedene Teile der Spermien Glykokalyx eine wichtige Rolle bei der Interaktion mit dem Eileiter einnehmen. In Ihren aktuellen Versuchen, konnten die Forscher zeigen, dass Moleküle der Spermienmembran Mannose- und Salinsäurereste binden.
Fünf Fragen an Susanne Bour, Biotechnologin und Doktorantin in der Urologie zum Dr. rer. biol. hum. im andrologischen Forschungslabor der LMU München
DÄ: Welche Funktion hat das Spermienreservoir?
Susanne Bour: Fakt ist, dass Schwangerschaftsraten beim Menschen höher sind, wenn Geschlechtsverkehr bis zu fünf Tage vor Ovulation der Frau stattgefunden hat verglichen mit Geschlechtsverkehr am Tag der Ovulation. Die Spermien müssen also in dieser Zeit im weiblichen Reproduktionstrakt gelagert werden.
Ein funktionstüchtiges Spermienreservoir ist unerlässlich für die Befruchtung. Denn es hat die Aufgabe, Spermien bis zum Tag der Ovulation befruchtungsfähig zu halten. Dafür müssen die Spermien Energiereserven aufsparen und das weibliche Immunsystem schützt sie vor dem Abbau. Durch die Bindung der Spermien an den Eileiter verzögert sich die akrosomale Reaktion – die Spermien bleiben sozusagen in Ruheposition im Spermienreservoir „hängen“. Erst zum Zeitpunkt der Ovulation löst sich die Bindung durch hormonelle Veränderungen und das Spermium schwimmt in das Lumen des Eileiters. Dieser Ablauf konnte bereits in vielen Spezies nachgewiesen werden, jedoch nicht beim Menschen.
DÄ: Was passiert bei einer Funktionsstörung des Spermienreservoirs beim Menschen?
Susanne Bour: Falls eine Funktionsstörung vorliegt, vermuten wir, dass Spermien nicht an den Eileiter binden und vom weiblichen Immunsystem zu schnell eliminiert werden. Ohne eine Bindung könnten die Spermien ihre Energiereserven zu schnell aufbrauchen. Zudem können die Spermien ohne Reservoir im Eileiter den Zeitpunkt der Ovulation nicht abpassen, um in das Eileiter-Lumen zu schwimmen. Die Erfolgschancen auf eine Befruchtung könnten sich hierdurch reduzieren.
DÄ: Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation ist jedes sechste Paar in Europa ungewollt kinderlos. Bei wie vielen könnte ein gestörtes Spermienreservoir Mitverursacher sein?
Susanne Bour: Bei etwa 15 Prozent aller Paare kann die ungewollte Kinderlosigkeit nicht mit medizinischen Ursachen begründet werden. Da Stress und äußere Umweltfaktoren auch hier eine sehr große Rolle spielen, können wir beim derzeitigen Forschungsstand nicht genau sagen, welcher Anteil auf molekulare Ursachen zurückzuführen ist.
Die Diagnose einer Störung bei der Bildung eines Spermienreservoirs wäre ein Novum und könnte zumindest für einen Teil der bisher idiopathisch infertilen Paare entscheidend sein. Es würde eine frühere Entscheidung ermöglichen, assistierte Reproduktionstechniken einzusetzen. Eine Abhängigkeit der Fruchtbarkeit aufgrund eines Moleküls zu postulieren, ist jedoch sehr schwierig. Wir haben in Experimenten herausgefunden, dass Spermien in der Ampulla-Region des Eileiters bis zu drei Tage nach Geschlechtsverkehr gefunden werden können.
Es wird vermutet, dass diese Bindung, wie bei einigen Säugern nachgewiesen, unter anderem durch eine Protein-Zucker-Interaktion vermittelt wird (Lektin-Glykokonjugat-Erkennung). In Live-Cell Imaging Versuchen mit humanen Eileitern und Spermien konnten Forscher ex vivo zeigen, dass Spermien dabei nur an bestimmte Areale des Eileiters binden. Es müssen sich dort also Strukturen befinden, die diese erkennen und binden.
DÄ: Konnten Sie auch schon Untersuchungen bei unfruchtbaren Paaren durchführen?
Susanne Bour: Unsere Untersuchungen konnten wir bisher nur isoliert bei Männern oder Frauen durchführen, da bei den Frauen der Eileiter im Rahmen einer Hysterektomie für Untersuchungen und Experimente entfernt wurde. Ob die Unfruchtbarkeit beim Mann oder der Frau liegt, ist oftmals nicht offensichtlich.
DÄ: Welche Versuche planen Sie als nächstes?
Susanne Bour: Wir wollen herauszufinden, welche Zucker für die humane Bindung verantwortlich sind. Zunächst sind daher weitere Versuche für die Bindungsfähigkeit mit Zuckern geplant, die schon bei manchen Säugern als potentielle Kandidaten für ein Spermienreservoir gelten. Hier werden – wie schon in den aktuell vorgestellten Versuchen -Ejakulate von Männern mit Normozoospermie und pathologisch auffällige Ejakulate miteinander verglichen.
Gleichzeitig wollen wir Rezeptoren (Lektine) durch Proteinanalysen und Immunohistochemie auf der Spermienoberfläche nachweisen. Des Weiteren werden auch die Eileiter-Präparate mit entsprechenden fluoreszierenden Zuckern behandelt um zu sehen, ob es bestimmte Areale gibt, die entsprechende Zucker auf ihrer Oberfläche haben. Unser Ziel ist es, den oder die Zucker mit Live-Cell Imaging zu identifizieren, welche maßgeblich für die Bildung eines Spermien-Speichers im Eileiter verantwortlich sind. © gie/aerzteblatt.de

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