Politik
Bundesverfassungsgericht verhandelt über Sterbehilfe
Mittwoch, 2. November 2016
Karlsruhe – Professionelle Hilfe beim Sterben – was die einen für ethisch geboten halten, lehnen andere ab. Jetzt liegt das vor einem Jahr verabschiedete Gesetz in Karlsruhe. Beim Bundesverfassungsgericht sind mittlerweile zahlreiche Verfassungsbeschwerden eingegangen.
Am Sonntag ist es genau ein Jahr her, dass der Bundestag mit breiter Mehrheit ein Gesetz verabschiedete, das die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Der Entscheidung vom 6. November zum Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid war eine zweijährige breite gesellschaftliche Debatte vorausgegangen.
Nahestehende Personen eines Todkranken bleiben von der Strafandrohung ausgenommen. Angebote wie jener des Vereins Sterbehilfe Deutschland von Roger Kusch sind aber seitdem untersagt. Der Entwurf der Abgeordneten um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) wurde in einer nachdenklichen wie leidenschaftlichen Abstimmung ohne Fraktionszwang zum Gesetz. In Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs heißt es nun: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Erwartungsgemäß war das Gesetz nicht der Schlusspunkt. Sieben Verfassungsbeschwerden liegen mittlerweile den Karslruher Richtern vor – und zwar aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln: Geltend machen wollen ihre Einwände nicht nur zwei Sterbehilfevereine, sondern auch Palliativmediziner und tödlich Erkrankte.
Doch das Verfahren steht noch am Anfang. Das hängt vor allem damit zusammen, dass nach dem Ausscheiden des Richters Herbert Landau und veränderten Zuständigkeiten im Zweiten Senat nun die Juristin Sibylle Kessal-Wulf als Berichterstatterin für die Fälle zuständig ist.
Noch zu Landaus Amtszeit lehnte das Bundesverfassungsgericht Anfang Januar dieses Jahres den Eilantrag von Mitgliedern des Vereins Sterbehilfe Deutschland gegen das Gesetz ab. Die Verfassungsrichter nahmen damals nur eine Folgenabwägung vor: Was wiegt schwerer? Dass Todkranke nicht auf professionelle Sterbehelfer zurückgreifen können oder dass ein mutmaßlich problematisches Geschäftsmodell gilt?
Die Richter entschieden, dass Menschen zum Suizid verleitet werden könnten. Zudem sei trotz Gesetz „die Inanspruchnahme professioneller ärztlicher Unterstützung“ für einen Suizidwunsch „nicht gänzlich ausgeschlossen“. Die Richter wollten der Gefahr gegenübertreten, dass der „fatale Anschein einer Normalität und schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen“ könne.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wertete den Beschluss vom Januar als „schallende Ohrfeige für die Kritiker des Gesetzes und die Sterbehelfer“. Die Richter hätten erkannt, dass von der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe eine Gefahr ausgehe, erklärte damals Patientenschutz-Vorstand Eugen Brysch.
Sicher ist, dass es sich die Richter mit der Entscheidung nicht einfach machen werden. Dazu zwingen Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Fälle. Um die ethischen und rechtlichen Positionen zu dem Thema in den Blick nehmen zu können, bat der Senat dem Vernehmen nach bereits eine ganze Reihe von Institutionen und Interessensvertretern um ihre Einschätzungen, darunter die beiden großen Kirchen. Es bedarf keiner großen Fantasie, um davon auszugehen, dass Katholiken und Protestanten dabei die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe als völlig unangemessene Form des Umgangs mit Todkranken bezeichnen werden.
Der weitere Verlauf des Verfahrens wird von den Beratungen im Senat abhängen. Selbst eine mündliche Verhandlung, bei Verfassungsbeschwerden sehr außergewöhnlich, ist derzeit nicht auszuschließen. Sicher scheint allerdings, dass eine Entscheidung aus Karlsruhe nicht unmittelbar bevorsteht. Aber sie dürfte Grundsatzcharakter haben.
© kna/aerzteblatt.de

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