Medizin
Wer zu wenig schläft, isst mehr
Mittwoch, 2. November 2016
London – Schlafentzug macht hungrig. Menschen, denen ausreichend Schlaf fehlt, essen im Durchschnitt 385 Kalorien mehr am Folgetag. Das entspricht etwa 4,5 Scheiben Brot. Zu diesem Ergebnis kommt eine Meta-Analyse, die Forscher vom King's College London jetzt im European Journal of Clinical Nutrition publiziert haben (doi:10.1038/ejcn.2016.201).
Unter Schlafentzug verbrauchten Betroffene am nächsten nicht mehr Energie. Die zusätzlichen Kalorien folgen einem etwas anderem Essverhalten. Wer zu wenig schläft, isst fettreicher und proteinärmer. Die Kohlenhydratmenge blieb konstant, berichten die Autoren um Gerda Pot vom Diabetes & Nutritional Sciences Division at King's College London und der Vrije Universiteit Amsterdamin in ihrer Studienübersicht. Insgesamt wurden 11 Studien mit insgesamt 172 Teilnehmern zusammengefasst.
Die fehlenden Stunden Schlaf variierten in den Studien zwischen dreieinhalb und fünfeinhalb Stunden. Die Kontrollgruppe durfte sich sieben bis maximal zwölf Stunden zur Ruhe legen. Ob ein Minimum an Schlaf Übergewicht tatsächlich vorbeugen kann, vermag die Studie nicht zu sagen. Dafür müssten Langzeitbeobachtungen durchgeführt werden. Zudem fanden die meisten Studien, die Pot und seine Kollegen in der aktuellen Meta-Analyse berücksichtigt haben, unter Laborbedingungen statt. Erstautor Al Khatib vom King's College London teilt mit, dass sein Team eine weitere randomisierte Studie durchführe, in der sie gewohnheitsmäßige Kurz-Schläfer untersuchen.
Die Beweislage ist laut Sebastian M. Schmid von der Medizinischen Universitätsklinik I in Lübeck bereits eindeutig. „Jede Stunde weniger Schlaf pro Tag ist in epidemiologischen Studien mit einer Zunahme von Übergewicht, Typ-2-Diabetes, erhöhten Cholesterinwerten und einem Bluthochdruck verbunden“, sagt der Leiter der Endokrinologie, Diabetologie & Internistischen Adipositasmedizin. Auch der Zusammenhang zwischen einer verkürzten nächtlichen Schlafdauer und einem erhöhten Sterberisiko gilt als belegt. „Chronischer Schlafmangel kann zu einem früheren Tod führen“, so Schmid.
zum Thema
- European Journal of Clinical Nutrition 2016
- The metabolic burden of sleep loss. Lancet Diabetes Endocrinol 2014
- Kurzer, gestörter und unregelmäßiger Schlaf, DMW 2015
aerzteblatt.de
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Den Ursachen sind Schmid und andere Forscher im Schlaflabor auf den Grund gegangen. Schlafentzug aber auch eine Störung des normalen Tag-Nacht-Wechsels führen dort schon in wenigen Tagen zu einer hormonellen Störung, die als Insulinresistenz bezeichnet wird. „Die Patienten haben erhöhte Blutzuckerwerte, obwohl sie vermehrt Insulin produzieren“, erklärt Schmid.
Kommt die Innere Uhr aus dem Takt, kann sich dies auf das Sättigungshormon Leptin und Ghrelin, welches den Appetit fördert, auswirken. Folge ist ein vermehrter Appetit. Im limbischen System des Gehirns werden zudem die Belohnungszentren aktiviert. „Menschen mit Schlafmangel greifen dann gerne zu energiedichten Lebensmitteln wie Chips oder Schokoladenriegeln“, sagt der Experte aus Lübeck: „Auf Karotten oder andere gesunde Nahrungsmittel haben sie dagegen keine Lust.“ Nicht ausgeschlafene Menschen essen gerne und sie essen viel. Schmid fasst zusammen: „Die Studien zeigen, dass Schlafmangel Hunger, Appetit und letztlich auch die Nahrungsaufnahme steigern kann.“
Mehr als neun Stunden Schlaf sind zu viel
Aber auch zu viel Schlaf wurde in mehreren Studien mit ungünstigen Folgen wie Übergewicht und einem höheren Risiko für Diabetes in Zusammenhang gebracht, erklärt Matthias M. Weber, Leiter der Endokrinologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Das Risiko scheint besonders dann erhöht zu sein, wenn ein Zuviel an Schlaf (das heißt mehr als neun Stunden am Tag) mit wenig Bewegung verbunden ist. Für den Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie ergeben sich aus diesen Erkenntnissen Strategien zur Vorbeugung und Behandlung des Metabolischen Syndroms. Die optimale Balance von Aktivität und Ruhephasen mit ausreichender Bewegung und wenig Stress führt meist automatisch zu einer optimalen Schlafdauer von sieben bis acht Stunden.

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