Ärzteschaft
Sachsen-Anhalt: Apotheker und Ärzte für Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten
Montag, 7. November 2016
Magdeburg – Verschiedene Verbände der Heilberufe in Sachsen-Anhalt haben an die Politik appelliert, die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten beizubehalten. „Die Arzneimittelpreisbindung ist integraler Bestandteil des Sachleistungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie dient der Qualitätssicherung, der Markttransparenz und dem Verbraucherschutz. Und sie sichert für alle Versicherten den gleichen Zugang zu von ihnen benötigten Arzneimitteln – unabhängig davon, wie viel das Medikament tatsächlich kostet“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Landesärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Apothekerkammer und des Landesapothekerverbandes.
Urteil: EuGH kippt Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente für rechtswidrig erklärt. Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise benachteilige Versandapotheken im EU-Ausland und beschränke somit den freien Warenverkehr in der EU, befand der EuGH (Az.: C-148/ 15). [...]
Hintergrund des Appells ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Ende Oktober (Az. C-148/159). Dieses hatte die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gekippt. Versandapotheken könnten laut dem Urteil Bonuszahlungen an deutsche Patienten leisten und so deren Zuzahlung verringern. Das bedeutet eine große Konkurrenz und vermutlich das Aus für kleinere Apotheken in strukturschwächeren Regionen.
„Rosinenpickerei durch ausländische Versandhändler schädigt das flächendeckende Netz der vollversorgenden wohnortnahen Apotheken. Viele drohen unkontrolliert vom Markt zu verschwinden“, warnen die Heilberufe aus Sachsen-Anhalt in ihrem Appell. Das Urteil verschaffe außerdem Patienten, die von Arzneimittelzuzahlungen befreit seien, eine Einnahmequelle. Über Boni von ausländischen Versandapotheken würden damit Fehlanreize zulasten der Solidargemeinschaft gesetzt, so ihre Kritik.
„Wer denkt, die Probleme haben nur die Apotheker, sollte über den Tellerrand schauen. Denn schon morgen kann es Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten treffen, die in ihrer freiberuflichen Tätigkeit eingeschränkt werden“, sagte Mathias Arnold, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt. Das EuGH-Urteil entziehe dem deutschen Souverän die Gestaltungsmacht über einen Kernbereich des nationalen Gesundheitssystems, warnte er.
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Auch in Berlin hat das Urteil große Diskussionen ausgelöst: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte als Reaktion ein Gesetz an, das den Versandhandel für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland verbietet. Ein solches Gesetz würde die Konkurrenz für die Apotheken durch den Versandhandel ausschalten und so das EuGH-Urteil gegenstandslos machen.
Allerdings melden sich zunehmend kritische Stimmen zu den Plänen, insbesondere aus der SPD: „Gerade für chronisch kranke Menschen in strukturschwachen Gebieten mit wenigen Apotheken wäre es unzumutbar, ihnen diesen einfachen Weg der Arzneimittelversorgung abzuschneiden“, erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach.
Er wies daraufhin, dass die EU-Richter die Benachteiligung von Patienten und Kunden durch die Preisbindung in Deutschland beanstandet hätten. „Darauf können wir nicht so reagieren, dass wir sie noch mehr benachteiligen und den Versandhandel komplett abschaffen“, sagte Lauterbach.
Mit dem Thema befasst sich am 9. November auch der Bundesrat. Bayern will dann einen Änderungsantrag zum Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) einbringen. Darin fordert der Freistaat ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, da die Entscheidung des EuGH zu einer konkreten Gefährdungslage für die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch öffentliche Apotheken führe. In einem zweiten Änderungsantrag zum AMVSG fordert Bayern eine Clearingstelle nach internationalem Vorbild, um fachliche Differenzen im komplexen Bereich der Nutzenbewertung und der dazugehörigen Methodik künftig besser aufzulösen.
© hil/EB/aerzteblatt.de

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