Medizin
Koronare Herzkrankheit: Gesunder Lebensstil kann genetisches Risiko ausgleichen
Dienstag, 15. November 2016
Boston – Wer auf das Rauchen verzichtet, Fettleibigkeit vermeidet, sich mindestens einmal in der Woche sportlich betätigt und auf eine gesunde Ernährung achtet, kann sein Herzinfarktrisiko deutlich senken, selbst wenn er genetisch vorbelastet ist. Dies zeigt die Analyse von drei prospektiven Kohortenstudien und einer Querschnittstudie im New England Journal of Medicine (2016; doi: 10.1056/NEJMoa1605086).
Genomweite Assoziationsstudien haben in den vergangenen Jahren mehr als 50 genetische Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) gefunden, die mit einem erhöhten Risiko auf ein koronares Ereignis wie instabile Angina oder Herzinfarkt einhergehen. Ein Team um Sekar Kathiresan vom Massachusetts General Hospital hat daraus einen polygenen Risiko-Score gebildet und diesen auf drei große prospektive Beobachtungsstudien angewendet.
Dies waren die Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC) Studie mit 7.814 Teilnehmern, die Women's Genome Health Study (WGHS) mit 21.222 Teilnehmern und die Malmo Diet and Cancer Study (MDCS) mit 22.389 Teilnehmern. Für alle drei Studien lagen genetische Daten vor und in allen drei Studien stieg mit dem polygenen Risiko-Score das koronare Risiko. Die Teilnehmer im oberen Fünftel des polygenen Risiko-Scores erkrankten im Verlauf der bis zu 20-jährigen Nachbeobachtungszeit zu 91 Prozent häufiger als die Teilnehmer mit den günstigsten Genen (Hazard Ratio 1,91; 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,75 bis 2,09).
In den drei Studien waren die Teilnehmer auch nach ihren Lebensgewohnheiten befragt worden, darunter auch zu vier Faktoren, die das Risiko auf eine Koronare Herzkrankheit beeinflussen. Als günstig werden der Verzicht auf das Rauchen, ein Body-Mass-Index von weniger als 30 kg/m2, mindestens einmal in der Woche körperliche Bewegung und eine gesunde Ernährung eingestuft. Die Forscher bildeten hieraus drei Kategorien: eines günstigen Lebensstils (drei oder vier Faktoren erfüllt), eines intermediären Lebensstils (zwei Faktoren) und eines ungünstigen Lebensstils (ein oder kein Faktor).
Der günstige Lebensstil senkte auch bei Teilnehmern mit einem hohen genetischen Risiko das koronare Risiko um 46 Prozent (Hazard Ratio 0,54; 0,47 bis 0,63). Teilnehmer der ARIC-Studie – US-Amerikaner europäischer und afrikanischer Herkunft im Alter von 45 bis 64 Jahren – mit hohem genetischen Risiko konnten ihr 10-Jahresrisiko auf ein koronares Ereignis durch einen positiven Lebensstil von 10,7 auf 5,1 Prozent senken. In der WGHS-Kohorte – Amerikanerinnen im Alter über 45 Jahre – sank das 10-Jahresrisiko von 4,6 auf 2,0 Prozent. In der schwedischen Kohorte – Frauen und Männer im Alter von 44 bis 73 Jahren – kam es zu einem Rückgang von 8,2 auf 5,3 Prozent. Damit kann Kathiresan feststellen, dass ein gesunder Lebensstil das durch die genetischen Faktoren erhöhte Erkrankungsrisiko in etwa halbiert.
Umgekehrt kann ein geringes genetisches Risiko durch einen ungünstigen Lebensstil weitgehend aufgehoben werden. In der ARIC-Kohorte stieg das 10-Jahresrisiko von 3,1 auf 5,8 Prozent, in der WGHS-Kohorte von 1,2 auf 1,8 Prozent und in der MDCS von 2,6 auf 4,7 Prozent.
zum Thema
Deutsches Ärzteblatt print
aerzteblatt.de
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die BioImage Studie, die bei 4.260 US-Amerikanern europäischer Herkunft den Koronarkalk mit der Computertomographie bestimmt hat. Die Teilnehmer mit niedrigem genetischen Risiko wiesen im Durchschnitt eine Verkalkung von 21 Agatston-Einheiten auf, bei Teilnehmern mit hohem genetischen Risiko waren es 46 Agatston-Einheiten. Bei Teilnehmern mit einem ungünstigen Lebensstil wurden ebenfalls 46 Agatston-Einheiten gemessen gegenüber 28 Agatston-Einheiten bei den Teilnehmern mit einem günstigen Lebensstil.
Völlig beseitigen lässt sich ein erhöhtes genetisches Risiko durch eine gesunde Lebensweise allerdings nicht. Menschen mit intermediärem oder hohem genetischen Risiko erkrankten auch dann häufiger an koronaren Erkrankungen als Menschen mit geringem genetischen Risiko, wenn sie alle Empfehlungen einhielten. Die Gene scheinen insgesamt einen größeren Einfluss auf das Erkrankungsrisiko zu haben als das Verhalten. © rme/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema
