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Ärzteschaft

„Kooperationen nicht unter Generalverdacht stellen“

Dienstag, 15. November 2016

Frankfurt am Main/Berlin – Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesund­heitswesen“, das seit Juni 2016 in Kraft ist, verbinden viele Ärzte Un­sicherheit. Was ist künftig erlaubt, was fällt unter die neuen Strafrechtsparagrafen 299a und 299b? Auf­klä­rung sollte dabei eine Veranstaltung der Bundesärztekammer (BÄK) Mitte November bie­ten: „Die übergroße Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland arbeitet korrekt und lässt sich nichts zuschulden kommen“, erklärte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgo­me­ry zum Auftakt der Veranstaltung. „Deshalb empfinden wir das Antikorruptionsgesetz für das Gesundheitswesen auch nicht als Bedrohung, sondern als Schutzmaßnahme für die vielen ehrlichen Kollegen. Die Neuregelungen können aber auch zu Unsicherheiten insbesondere bei den Ärzten führen, die sich beispielsweise in Netzen oder in sektoren­über­greifenden Versorgungformen engagieren. Diese Kollegen brauchen verlässliche Informationen.“

Viele Hinweise dazu lieferte der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle. Er rät Kliniken und Ärzten, ihre Alt-Verträge zu überprüfen, sieht aber zugleich die Strafverfol­gungs­be­hörden in der Pflicht, bei der Verfolgung von Vermögens- und Korruptions­de­lik­ten im Gesundheitswesen mit „Augenmaß“ vorzugehen. Ermittlungen im Rahmen des neu­en „Antikorruptions­gesetzes“ dürften nicht dazu führen, alle Kooperationen im Ge­sund­­heitswesen unter „eine Art Generalverdacht“ zu stellen.

Fünf Fragen an Oberstaatsanwalt Alexander Badle von der Generalstaats­an­walt­schaft Frankfurt am Main. Er leitet dort seit 2009 die Zentralstelle zur Be­kämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen.  

DÄ: In Hessen gibt es bereits vier Ermittlungsverfahren auf Basis des neuen „Antikorrup­tio­nsgesetzes“. Worum geht es da?
Badle: Drei Ermittlungsverfahren betreffen Koopera­ti­ons­verträge zwischen zwei nieder­ge­lassenen Nephro­lo­gen und drei Krankenhäusern. Hier lautet der Vorwurf jeweils, dass die Nephrologen Dialyseleistungen in den Räumlichkeiten der Kliniken erbringen und im Gegenzug für die Überlassung der Räum­­lichkeiten den Kliniken teilstationäre Dialysen zu­weisen, die dann mit der Miete für die Räumlichkeiten „verrechnet“ werden.

Hier wird also die medizinische Entscheidung der Nephrologen, ob es sich um eine ambulante oder eine stationäre Dialyseleistung han­delt, von wirtschaft­lichen Interessen beeinflusst. Der vierte Fall betrifft die Beteiligung von zwei Orthopäden an einer Physiotherapie GmbH. Der Vorwurf: Die beiden Ortho­pä­den sollen ihre Patienten gezielt in die Physio­the­rapiepraxis zugewiesen und hierdurch spürbar Einfluss auf den Ertrag ihrer Beteili­gung an der Physiotherapie GmbH genom­men haben.

DÄ: Viele Akteure im Gesundheitswesen stehen mehr oder weniger ratlos vor dem neu­en Gesetz. Sie aber sagen: Da steht nichts drin, was es bisher nicht schon gibt. Wie mei­nen Sie das?
Badle: Für Ärztinnen und Ärzte gilt, dass ein Blick in ihre Berufsordnung sie davor schützt, mit den neuen Straftatbeständen in Konflikt zu geraten. Insbesondere in den Pa­ragrafen 18, 31, 32 und 33 der (Muster-)Berufsordnung sind die Spielregeln definiert.

DÄ: Jedes Ermittlungsverfahren fußt auf einem Anfangsverdacht. Die Schwelle für einen solchen Anfangsverdacht liegt nach Meinung von Medizinjuristen aufgrund des neuen Ge­setzes recht niedrig. Können Sie das bestätigen?
Badle: Die Schwelle für einen Anfangsverdacht ist für alle Straftatbestände gleich. Es gibt also keine „Sonderregelung“ für die neuen Straftatbestände. Der Anfangsverdacht setzt voraus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen. Bei der Beurteilung, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, haben die Strafverfol­gungs­­behörden einen Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen sie sich bei der Ent­schei­­dungsfindung bewegen. Die Anforderungen an einen Anfangsverdacht sind – ge­messen an den sonstigen Verdachtsgraden, die beispielsweise für einen Haftbefehl oder eine Anklageerhebung vorausgesetzt werden – eher gering. So gesehen ist die Aussage der Medizinjuristen nicht falsch.

DÄ: Ermittlungsverfahren haben für Betroffene oftmals erhebliche Auswirkungen, von den meist imageschädigenden Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bis hin zu den langwierigen und manchmal erfolglosen Ermittlungen selbst. Wie sollten die Ermittlungs­be­hörden damit umgehen?
Badle: Die Ermittlungsbehörden sind ganz besonders in der Pflicht, die neuen Straf­tat­be­stände mit Augenmaß anzuwenden und sich die Komplexität der Leistungs­beziehun­gen im Gesundheitsmarkt deutlich vor Augen zu führen. Der Gesetzgeber hat in den zu­rückliegenden Jahren die Kooperationen im Gesundheitsmarkt bewusst gestärkt, insbe­sondere an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versor­gung. Dieser Wille darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Strafverfolgungs­behörden die Ko­operationen jetzt unter eine Art „Generalverdacht“ stellen.

DÄ: Hinter „Altverträgen“, in denen Akteure ihre Zusammenarbeit geregelt haben, ver­mu­ten Sie teils auch Unrechtsvereinbarungen. Was kommt da auf die Vertrags­partner zu?
Badle: Sehr viel Arbeit. Alle laufenden Kooperationsverträge sollten von den Vertrags­partnern daraufhin überprüft werden, ob sie eine Unrechtsvereinbarung im Sinne der neuen Straftatbestände enthalten. Diese Prüfung sollte sinnvollerweise durch neutrale Personen erfolgen und nicht von denjenigen, die die Verträge seinerzeit geprüft und/ oder geschlossen haben, da sonst das Risiko besteht, dass die Prüfung nicht mit der gebotenen Objektivität und ergebnisoffen erfolgt. © litt/aerzteblatt.de

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