Politik
Zi-Gutachten: Morbiditätslast muss genauer abgebildet werden
Freitag, 18. November 2016
Berlin – Die Krankheitslast der deutschen Bevölkerung muss genauer abgebildet werden. Das fordern die Autoren des Gutachtens „Weiterentwicklungsbedarf des Versichertenklassifikationsverfahrens im Anwendungskontext der vertragsärztlichen Versorgung“, das sie im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) erstellt haben.
Heute wird die Krankheitslast der Bevölkerung im ambulanten Bereich mit dem sogenannten Versichertenklassifikationssystem des Bewertungsausschusses (VKS-BA) gemessen. Für dieses System werden 360 Krankheiten herangezogen, die schließlich auf 73 diagnosebezogene Krankheitsgruppen komprimiert werden.
„Die Komprimierung beim VKS-BA sollte abgeschwächt beziehungsweise sogar ganz abgeschafft werden“, heißt es in dem Gutachten. „Sie besitzt stets die Tendenz, heterogene Risikoklassen zu schaffen, deren Kostengewichte den Leistungsbedarf nicht angemessen widerspiegeln.“ Es erscheine daher wahrscheinlich, dass die Krankenkassen nicht für eine steigende Prävalenz zahlen müssten.
Die Autoren des Gutachtens kritisieren zudem, dass die Morbiditätslast der Bevölkerung nicht richtig dargestellt werde. Zwar werde in einem komplizierten Verfahren stets die Veränderung der Morbidität abgebildet, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und einer der Autoren des Gutachtens, Eberhard Wille, heute bei dessen Vorstellung in Berlin. Doch die Daten zum Morbiditätsniveau, auf dem diese Veränderungsrate aufsetze, seien nicht aktuell. Sie basierten im Wesentlichen auf historischen Behandlungsbedarfen, die aus der Zeit der Budgetierung stammten.
In diesem Zusammenhang sprechen sich die Autoren des Gutachtens dafür aus, die Morbiditätslast nicht mehr bundeseinheitlich, sondern anhand der regionalen Gegebenheiten zu messen. So liege die Krankheitslast in Sachsen-Anhalt zum Beispiel höher als in anderen Bundesländern. Dies müsse berücksichtigt werden. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen wies darauf hin, dass einer Regionalisierung der Morbiditätsmessung auch eine entsprechende Neuverteilung der Vergütung folgen müsse. Und bei der würde es auch regionale „Verlierer“ geben.
Die Autoren des Gutachtens kritisierten zudem, dass die Datenbasis zur Berechnung der Morbidität aktualisiert werden müsse. Das derzeitige Verfahren berücksichtige nur den Behandlungsaufwand, der zwei Jahre nach dem Auftreten einer Krankheit entstehe. Die konkret verwendeten Daten seien dann oftmals fünf Jahre älter als der Zeitraum, für den die notwendige Leistungsmenge bestimmt werden müsse. Sie plädierten daher für einen kürzeren Prognosezeitraum, damit die tatsächliche Entwicklung des Behandlungsbedarfs der Versicherten in die Berechnung der notwendigen Leistungsmenge eingehen könne.
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Anstelle von Kodierrichtlinien schlugen die Gutachter zudem vor, insbesondere Diagnosen heranzuziehen, die über einen längeren Zeitraum dokumentiert und durch Arzneiverordnungen plausibilisiert wurden. „Durch Kodierrichtlinien würde zwar zusätzliche Bürokratie für die niedergelassenen Ärzte erzeugt, das Abbild der Krankheitslast hingegen nicht substanziell verbessert“, sagte Zi-Geschäftsführer Dominik von Stillfried.
Schließlich forderten die Gutachter eine stärkere Validierung der Diagnosen. „Auf den Behandlungsbedarf wirken zahlreiche Faktoren, die einem steten Wandel unterliegen“, heißt es in dem Gutachten. Dabei müsse eine steigende Inanspruchnahme nicht unbedingt mit einer epidemiologischen Inzidenz einhergehen. Sehr deutlich zeige sich das am Beispiel des sogenannten Vitamin-D-Mangels.
„Der Behandlungsbedarf wird weiterhin bestimmt von medizinisch-wissenschaftlichen und demografischen Veränderungen, aber auch durch veränderte Aufmerksamkeiten beziehungsweise Einstellungen gegenüber bestimmten Symptomen“, heißt es in dem Gutachten. „Inwieweit diese Veränderung als morbiditätsbedingt einzustufen und über das Klassifikationssystem von den Krankenkassen zu vergüten sind, sollte durch eine stärkere Validierung der Diagnosen überprüft werden.“ © fos/aerzteblatt.de

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