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Politik

Ökonomisierung im Krankenhaus: Zwischen Verantwortung und Profitstreben

Freitag, 18. November 2016

/dpa

Berlin – Es gibt eine Tendenz zur Ökonomisierung in deutschen Krankenhäusern, die weiter zunimmt. Das ist das Ergebnis einer qualitativen Studie, in deren Rahmen der Arzt und Medizinethiker Karl Heinz Wehkamp vom Socium Forschungszentrum für soziale Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen und der Ökonom Heinz Naegler von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht 20 Krankenhausärzte und 21 Ge­schäfts­führer von Krankenhäusern befragten.

Unter Ökonomisierung verstanden beide Studienautoren, dass sich Ärzte immer stärker an Entscheidun­gen Dritter (Mitarbeiter, Gesell­schaft, Krankenhauseigentümer, Kosten­träger) ausrichten müssen. Davon abzugrenzen sei wirtschaftliches Handeln, erklärte Naegler am 16. No­vem­ber bei den Berliner Wirtschaftsgesprächen vor Vertretern aus Politik, Wirtschaft und dem Gesundheits­wesen.

Wehkamp und Naegler haben nach eigener Aussage mit ihrer Studie versucht, eine Innen­sicht des Klinikalltags sowohl aus der Perspektive der Geschäftsführer als auch der Ärzte und des Pflegepersonals zu geben. Dabei habe sich gezeigt, dass Ärzte und Ge­schäfts­führer oft diametral entgegengesetzte Wahrnehmungen des Arbeitsalltages hätten.

Während erstere unter ihrer Weisungsgebundenheit litten und bemängelten, in Ent­schei­dungen kaum einbezogen zu werden, schätzten letztere den Handlungs- und Entschei­dungsspielraum ihrer Angestellten als wesentlich höher ein. Ärzte berichteten von wie­der­holten Verletzungen medizinethischer Werte, etwa wenn „lukrative“ Patienten bevor­zugt und „unattraktive“ abgelehnt wurden.

Der Umfrage zufolge führen Personal­verknappung und eine Arbeitsverdichtung zu Priori­sierungsentscheidungen, bei denen basismedizinische Leistungen wie die Anamnese, körperliche Untersuchungen und die persönliche Betreuung zu kurz kämen. Die Verletz­ung medizinethischer Werte führt bei den Ärzten dazu, dass das Vertrauen in die Kor­rekt­heit der Medizin schwindet, folgern Wehkamp und Naegler.

Die Autoren machten im Rahmen ihrer Studie zwei Hauptursachen für die Ökonomi­sie­rung aus. So gebe es zum einen strukturelle und Finanzierungsdefizite, wie Über­kapa­zi­täten und mangelnde Investitionsmittel. Zum anderen bestünden Kommunika­tions- und Führungsdefizite in den Krankenhäusern. Ärzte würden nicht ausreichend in die Leis­tungs- und Ressourcenplanung einbezogen, kritisierten Wehkamp und Naegler. Auch fehlende Regeln für ein ethisches Controlling begünstigten das zunehmend profitorien­tierte Handeln in den Krankenhäusern.

Um diese Situation zu verändern, empfehlen die Autoren unter anderem, die Grund- und Regelversorgung neu zu definieren, die Investitionskostenfinanzierung neu auszurichten und Überkapazitäten zu beseitigen. Unter Berücksichtigung der begrenz­ten Ressourcen sowie ethischer Gesichtspunkte sollte zudem ein Kodex entwickelt werden, der Ärzten ei­ne Orientierung für ihr Handeln gibt und das Patientenwohl wieder in den Mittelpunkt rückt. Dieser Kodex müsse für alle Hierarchieebenen, Berufsgruppen und Leistungsbe­reiche verbindlich sein.

Auf die schwierigen Machtverhältnisse zwischen Ärzteschaft und Klinikmanagement ging der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, bei der an­schlie­ßenden Podiumsdiskussion ein. „Wir haben ein Zielproblem“, sagte er. Ärzte woll­ten Patienten behandeln und Ökonomen Geld verdienen. Montgomery stellte jedoch zu­gleich klar, dass es auch Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist, mit den Ressourcen im Gesundheitswesen verantwortungsvoll umzugehen. „Ökonomisierung ist selbst­verständ­lich. Alles andere ist unsolidarisch. Ich bin aber ganz klar gegen eine Merkantili­sierung im Gesundheitswesen“, erklärte der BÄK-Präsident.

Krankenhäuser seien Unternehmen der besonderen Art, betonte auch Rudolf Henke, Bundesvorsitzender des Marburger Bundes. Ihre Rolle sei es, Patienten nach medizin­ethischen Kriterien zu behandeln. Diese Rolle akzeptiere auch die Politik. „Es gibt keine Aufforderung der Politik an die Krankenhäuser, sich wie Unternehmen zu verhalten“, er­klärte Henke.

Eine Mitverantwortung der Politik an dem zunehmenden Gewinnstreben im Gesund­heits­wesen sah dagegen Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender der Kaufmännischen Kran­ken­kasse Hannover. Deren Wettbewerbsorientierung habe auch bei den Kassen ökono­mische Interessen wachsen lassen. Angst vor einer Rationierung von Leistungen ange­sichts des wachsenden wirtschaftlichen Drucks habe er nicht, so Kailuweit. Wenn Ratio­nalisierungspotenziale gehoben würden, schaffe das Raum für Veränderungen. „Es gibt genügend Potenzial, dass wir in den nächsten Jahren nicht rationieren müssen“, sagte der Kassenvorstand. © kk/HK/aerzteblatt.de

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