Politik
Bundesteilhabegesetz: Weiter Kritik an Nahles Reformplänen
Dienstag, 22. November 2016
Schwerin – Das geplante Bundesteilhabegesetz von Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) steht weiter in der Kritik. Es soll beeinträchtigen Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen. Sozialverbände in Mecklenburg-Vorpommern befürchten, die Reform könnte teilweise das Gegenteil bewirken. Nach ihrer Lesart droht vielen Betroffenen der soziale Abstieg.
„Der vorliegende Gesetzentwurf verbessert die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen nur begrenzt, im Bereich der Eingliederungshilfe verschlechtern sie sich sogar massiv“, sagte der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Friedrich Wilhelm Bluschke, heute in Schwerin.
Der geistig behinderte Maik S. lebt in einer Wohngruppe in Schwerin und arbeitet in der Hauswirtschaft des gemeinnützigen Sozialunternehmens Dreescher Werkstätten. Geschäftsführer Stephan Hüppler fürchtet jetzt um die Zukunft des 42-Jährigen. „Nach dem neuen Bundesteilhabegesetz, das derzeit im Bundestag diskutiert wird, muss jemand in mindestens fünf von neun Lebensbereichen erheblich eingeschränkt sein, um Anspruch auf Eingliederungshilfe zu haben. Damit ist ein Platz in einer geschützten Werkstatt und in einer betreuten Wohnform verbunden.“ Werde dieser Wert nicht erreicht, habe der Betroffene keinen Rechtsanspruch. Auf Maik S. treffe dies zu. Doch ohne die Unterstützung der Dreescher Werkstätten käme der junge Mann nicht zurecht, ist Hüppler überzeugt.
Bluschke sagte, weniger Menschen würden künftig einen Platz in einer geschützten Werkstatt oder in einer betreuten Wohnform bekommen, weil sie nach Definition des neuen Gesetzestextes nicht schwer genug behindert sind. Anderen wiederum drohe die Einweisung ins Pflegeheim. Geplant sei, das neue Gesetz im Dezember in Bundestag und Bundesrat zu verabschieden. Bluschke forderte die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für Änderungen einzusetzen.
Auch die Linke machte Druck. „Das Bundesteilhabegesetz muss dringend nachgebessert werden, ansonsten darf sie nicht zustimmen“, forderte der sozialpolitische Sprecher der Oppositionsfraktion, Torsten Koplin. In seiner jetzigen Form gleiche das Papier mehr einem Ausschlussgesetz. „Ein blinder Mensch, der ansonsten gesund ist, fällt durch das Raster.“ Das Gesetz sei erarbeitet worden, um Kosten zu sparen. Wer keine Eingliederungshilfen bekomme, falle in „Hilfe zur Pflege“ oder Hartz IV – beides vermögensabhängige Sozialleistungen.
Die Landesregierung will sich noch einmal ausführlich mit dem Gesetz befassen, wenn das Thema erneut im Bundesrat auf der Tagesordnung steht, versprach Regierungssprecher Andreas Timm. Der Bundesrat habe bereits einmal über das Gesetz beraten und eine umfassende Stellungnahme mit zahlreichen Änderungswünschen abgegeben. „Wir müssen jetzt abwarten, ob der Bundestag diese Anregungen aufgreift.“
In Mecklenburg-Vorpommern erhielten nach Hüpplers Worten im Jahr 2014 rund 27.400 Menschen die Eingliederungshilfe für Behinderte. Das seien acht Prozent mehr als zwei Jahre davor, sagte er. Gründe für die Zunahme seien unter anderem die demografische Entwicklung und der medizinische Fortschritt. Mehr Frühchen überlebten, mehr Behinderte als früher erreichten das Erwachsenenalter und mehr Opfer schwerer Unfälle würden gerettet. © dpa/aerzteblatt.de

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