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Politik

Notaufnahmen und Rettungsdienste sind stark überlastet

Dienstag, 22. November 2016

/dpa

Berlin – Die stationäre Notfallversorgung und der Rettungsdienst in Deutschland sind stark überlastet. Das berichteten Praktiker heute auf dem Wissenschaftlichen Sympo­si­um „Neuordnung der Notfallversorgung“ des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin.

„Wir haben in den Jahren 2005 bis 2015 eine dramatische Zunahme der Patienten­zahlen in der Notaufnahme erlebt“, erklärte Thomas Fleischmann, Chefarzt der Interdisziplinären Notaufnahme am Westküstenklinikum Heide in Schleswig-Holstein. „Sie ist von 13,5 Milli­o­­nen auf 25 Millionen angestiegen.“ Im selben Zeitraum sei die Anzahl der stationär be­handelten Patienten vergleichsweise gering von 16,5 auf 19,1 Millionen angewachsen.

„Wenn wir knapp 100 Prozent mehr Patienten in zehn Jahren versorgen, haben wir dann auch 100 Prozent mehr Pflegekräfte und Ärzte, 100 Prozent mehr Ausstattung bekom­men?“, fragte Fleischmann. „Nein, das haben wir nicht. Keiner von uns. Im Gegenteil: Die Ressourcen wurden heruntergefahren.“

Fleischmann sprach sich dafür aus, die Notfallversorgung in Deutschland neu zu struk­tu­rieren und dabei Mindestanforderungen zu definieren. Dabei würde es nach seiner An­sicht die Qualität der Notfallversorgung steigern, wenn insbesondere kleinere Kranken­häuser keine Notaufnahmen mehr betrieben.

„Heute verfügen 1.724 der 1.980 deut­schen Krankenhäuser über eine Notaufnahme. 623 dieser Krankenhäuser haben weni­ger als 100 Betten“, erklärte er. „In einem Krankenhaus dieser Größenordnung kann man aber keine stationäre Notfallversorgung anbieten. Denn dafür braucht man eine gewisse Größe.“ Zudem verfügten 986 der Krankenhäuser über keinen Computer­to­mo­graphen, der jedoch heute in der Notfallbehandlung dringend gebraucht werde. Und 789 der Häuser verfügten über keine Intensivbetten.

Im Krankenhausstrukturgesetz wurde der Gemeinsame Bundesausschuss damit beauf­tragt, bis zum Ende dieses Jahres ein Stufenkonzept für die Notfallversorgung zu erarbei­ten. Dieses sollte als Grundlage für Zu- und Abschläge verwendet werden. „Leider hat der Gesetzgeber die Frist nun um ein Jahr verlängert“, kritisierte Fleisch­mann. Dabei müsse die Notfallversorgung dringend neu strukturiert werden. Denn „heute muss man überhaupt keine Voraussetzungen erfüllen, um eine Notfallversorgung anzubieten. Man braucht kein Leistungsspektrum, keine Qualifikationen der Mitarbeiter. Jeder kann eine Notaufnahme betreiben. Es genügt ein Schild.“

Fleischmann befürwortete, Notaufnahmen zu schließen, wenn sie Mindest­vo­raus­setzun­gen nicht erfüllen. „Wir haben in Deutschland wahnsinnig viele kleine Notauf­nahmen. Das ist schlecht“, sagte er. „Denn man braucht viele Ressourcen, um eine Not­aufnahme betreiben zu können. Und man braucht Ärzte, die die Behandlung von Notfällen gewohnt sind. Wenn man einen schweren Notfall gut behandeln will, muss man mindestens einmal am Tag einen schweren Notfall versorgen.“ Schwer verletzte Patienten hätten eine bes­se­re Prognose bei einer höheren Versorgungsstufe, selbst wenn der Transport länger dauere. „Wir müssen die Notfallbehandlung schwer Verletz­ter auf Zentren beschränken, die entsprechend ausgestattet sind“, forderte er.

Dass auch der Rettungsdienst der Feuerwehr stark überlastet ist, erklärte Wilfried Gräf­ling, Landesbranddirektor bei der Berliner Feuerwehr. „Seit dem Jahr 2001 steigt die An­zahl unserer Einsätze, sowohl die Einsätze der Rettungswagen als auch die Notarztein­sätze. Schon im Juli dieses Jahres haben wir die Zahlen erreicht, mit denen wir für das gesamte Jahr gerechnet haben. Ich weiß nicht, wohin wir noch kommen sollen.“

Er erklärte, dass dies kein rein deutsches Phänomen sei: „Das ist ein allgemeiner Trend. Eine Ursache liegt in der demografischen Entwicklung: Die Mortalität sinkt, die Morbidität steigt. Zudem nimmt die Erwartungshaltung der Menschen zu.“ Es gebe aber auch eine gewisse Hilflosigkeit in der Bevölkerung. „Früher hat man bei Fieber einen Wadenwickel gemacht, heute ruft man die Feuerwehr“, sagte Gräfling. Auf der anderen Seite könne ein Fieberkrampf aber auch ernste Folgen haben. Deshalb müssten Rettungswagen auch in diesen Fällen losgeschickt werden.

Eine weitere Ursache sieht er in dem Wandel der ambulanten Versorgung. „Früher ha­ben Hausärzte mehr Hausbesuche gemacht, sowohl aus eigenem Anspruch heraus als auch wegen der besseren Bezahlung“, sagte er. „Heute rufen die Menschen den Ret­tungs­wagen, wenn sie zu Hause sind und Hilfe benötigen“. Zudem dauere es im am­bu­lanten Sektor vier bis sechs Wochen, bis Patienten einen Termin für eine Compu­ter­to­mografie (CT) erhielten. Viele hätten aber akute Probleme und wollten nicht so lan­ge warten. „Deshalb rufen sie die Feuerwehr, dann erhalten sie das CT noch am selben Tag“, meinte Gräfling.

Schließlich seien die Pflegeeinrichtungen mit Pflegekräften unterbesetzt. Wenn es dort Probleme gebe, werde auch der Rettungswagen gerufen. „Wir müssen die Systeme bes­ser aufeinander abstimmen“, forderte Gräfling. „Ansonsten laborieren wir nur an den Symp­tomen herum. Das System muss sich ändern, sonst wird es in den nächsten Jahren kollabieren. Es kann so nicht weitergehen.“ © fos/aerzteblatt.de

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