Politik
Deutscher Ethikrat: Zeit für Reflexion, aber kein „post-antibiotisches Zeitalter“
Donnerstag, 24. November 2016
Berlin – Das Problem der Antibiotikaresistenz wird sich nicht lösen lassen, aber es lässt sich mindern. Dieses Fazit zogen Experten auf einer Veranstaltung der Reihe „Forum Bioethik“ des Deutschen Ethikrates gestern Abend in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Notwendig seien dafür internationale und interdisziplinäre Kooperationen. „Das Problem ist erkannt, benannt und es ist groß“, sagte der Vorsitzende des Ethikrats, Peter Dabrock. Europaweit gebe es jährlich rund 25.000 Todesfälle infolge von Antibiotikaresistenzen, die Weltgesundheitsorganisation habe jüngst sogar von einem „post-antibiotischen Zeitalter“ gesprochen.
Die gesamte Gesellschaft müsse sich daher nicht nur ihrer Verantwortung gegenüber akut Erkrankten, sondern auch gegenüber den nachfolgenden Generationen bewusst werden, erklärte der Ethikrat-Vorsitzende. Der Deutsche Ethikrat sehe es aber nicht als seine Aufgabe an, einigen Maßnahmen eine moralische Weihe zu geben oder weitere Maßnahmen zu fordern, sagte Dabrock. Stattdessen gehe es darum, die getroffenen und die zu treffenden Entscheidungen auf ihre jeweilige Verantwortbarkeit zu überprüfen.“
Bereits von einem „post-antibiotischen Zeitalter“ zu sprechen, lehnte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, ab. „Möglicherweise wird man einzelne Erkrankungen nicht mehr therapieren können“, sagte er. „Resistenzentwicklungen sind aber natürliche Phänomene, die es bereits seit Milliarden Jahren gibt, und es ist nicht absehbar, dass es jemals anders sein wird.“
Der massenhafte und ungezielte Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin, Hygienemängel, eine zu hohe Patientennachfrage sowie die Globalisierung mit weltweitem Tourismus und Migration triggerten allerdings diese Phänomene, erläuterte Wieler. So spielten zum Beispiel bei Darmbakterien, die sogenannte Extended Spectrum Beta-Lactamasen (ESBL) bilden, Auslandsreisen eine Rolle. Studien hätten gezeigt, dass bis zu 30 Prozent der Reiserückkehrer aus Regionen mit hoher ESBL-Verbreitung (Asien und indischer Subkontinent) mit ESBL-bildenden E. coli kolonisiert seien.
Angesicht dieser vielfältigen Faktoren mahnte Wieler zu einem zurückhaltenden Umgang mit Antibiotika. Es sei sehr wichtig, dass Ärzte und Tierärzte nur sehr gezielt und wenn es wirklich medizinisch notwendig sei, Antibiotika einsetzten. Zudem müssten ökonomische und regulatorische Probleme in der Medikamentenentwicklung überwunden werden. „Wir werden das Problem der Antibiotikaresistenz aber nicht technisch lösen können“, betonte er. „Medizinische Innovation wird alleine nicht ausreichen, um bakterielle Krankheitserreger unter Kontrolle zu bringen.“ Die Entwicklung neuer Antibiotika gewähre nur einen zeitlichen Aufschub, ohne das Problem zu lösen.
„Wir müssen zunächst einmal verstehen, dass wir und unsere Umwelt stark mit Bakterien besiedelt sind“, erläuterte Wieler. „Die Bakterien sind ein Teil von uns. Und Resistenzen liegen schon seit Millionen Jahren in diesen Bakterien vor – auch Resistenzen gegen noch nicht einmal entdeckte Antibiotika.“
Somit seien Antibiotikaresistenzen als ein natürlicher Teil der Umwelt anzusehen. Sie entwickelten sich im Wechselspiel von genetischen Ereignissen, von Mutationen und der Aufnahme von Resistenzgenen aus der Umgebung, wie verschiedene Studien bereits gezeigt hätten. Entscheidend sei aber auch die Selektion. „Bei der Anwendung von Antibiotika überleben solche Bakterienstämme, die eine Resistenz besitzen. Diesen Selektionsdruck gilt es, durch den gezielten Einsatz von Antibiotika zu beeinflussen.“ So sei es beispielsweise gelungen, den Anteil Methicilllin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA), einer der wichtigsten Erregern von Krankenhausinfektionen, in Deutschland zu reduzieren.
Der RKI-Präsident verwies vor diesem Hintergrund auf den globalen Aktionsplan der WHO, dessen Maßnahmen auch in der Deutschen Antibiotika-Resistenz-Strategie 2020 (DART) verankert seien, an der die Bundesländer und viele Akteure des Gesundheitswesens beteiligt sind. Neben der Entwicklung neuer Antibiotika und neuer diagnostischer Tests bedürfe es einer besseren Information von Ärzten und Patienten zu den Risiken von Antibiotikaresistenzen, ferner einer besseren Datenlage über die Entwicklung von Resistenzen und die Antibiotikagabe sowie einer Stärkung der Hygiene und des Infektionsschutzes, etwa durch Impfungen.
„Auch dem Patienten kommt eine große Mitverantwortung zu“, sagte Wieler. Die Hygienikerin der Berliner Charite, Petra Gastmeier, warb diesbezüglich für mehr Aufklärung. „Man muss die Bürger viel besser über Antibiotikaresistenzen informieren“, forderte sie. Auch müssten die Ärzte direkt adressiert werden. Zudem sei der verstärkte Einsatz von besseren und schnelleren Diagnostika sinnvoll und wichtig.
Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft kritisierte den oft unkritischen Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin: Neben der Infektionsprävention seien daher AntiBiotic-Stewardship-Programme von großer Bedeutung, um einen rationalen Umgang mit Antibiotika zu fördern und optimale Behandlungsergebnisse zu erzielen. Zudem bedürfe es „gezielter Anreize für pharmazeutische Unternehmer, durch die Entwicklung von neuen Antibiotika das Innovationsdefizit auf diesem Gebiet zu überwinden – vor allem zur Behandlung von resistenten Krankheitserregern.“
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Einig waren sich die Teilnehmer des Forums, dass die diskutierten Lösungsvorschläge ethische und gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringen. Neben gegebenenfalls schwer umzusetzenden strengeren Hygienemaßnahmen gelte dies insbesondere für die geforderte Reduzierung des Antibiotikagebrauchs, die für Patienten mit Unannehmlichkeiten und Risiken einhergehen kann.
Eine mögliche Rationierung von Antibiotika sei mit Blick auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ethisch sehr komplex und sollte nur in Erwägung gezogen werden, wenn alle anderen Strategien unwirksam seien, sagte der Bayreuther Rechtswissenschaftler Stephan Rixen. Er betonte, dass momentan noch kein Ausnahmezustand eingetreten sei. Es sei daher wesentlich, dass bei allen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit gewahrt werde und dass diese grundrechtsschonend angelegt seien. Bislang akzentuiere die Politik auf Selbstregulierung ausgelegte Strategien, so Rixen. „Das ist im Sinne des rechtsstaatlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit zu begrüßen.“
Bevor in den Antibiotikaverbrauch in der humanmedizinmedizinischen Gesundheitsversorgung eingegriffen werde, müsse das Verbindlichkeitsniveau des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermedizin ausgebaut werden, meinte Rixen. Auch der Ausbau staatlicher Forschung könne eine grundrechtsschonende Maßnahme sein. Insgesamt sieht Rixen den Gesetzgeber stärker in der Pflicht. Dieser dürfe die Verantwortung nicht auf die Gesundheitsversorgungsexekutive abwälzen. „Keinesfalls darf eine Rationierung von Antibiotika auf die Mikroebene des Arzt-Patienten-Verhältnisses verschoben und auf das ärztliche Gewissen abgewälzt werden“, betonte er. © ER/aerzteblatt.de

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