Vermischtes
Wie moderne Lebensgewohnheiten krank machen
Freitag, 25. November 2016
Berlin – Mehr als die Hälfte der Deutschen leidet regelmäßig unter Stress. Arbeitsverdichtung, die Durchdringung des Alltags mit neuen Technologien oder persönliche Probleme tragen dazu bei, dass die tägliche Belastung steigt und liefern so den Nährboden für Erkrankungen wie Burn-out oder Depressionen.
Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie stellten führende Psychotherapeuten und Psychiater unter dem Titel „Durchtrainiert, selbstoptimiert und ständig online – wenn der moderne Lifestyle uns krank macht“ chronischen Stress als Motor für die Entstehung psychischer Erkrankungen heraus und gingen dabei insbesondere auf Körperbildstörungen und die Einnahme von Neuroenhancern zur Selbstoptimierung ein.
Das von Medien und Öffentlichkeit idealisierte Körperbild stellt laut Ulrich Voderholzer, Direktor des Fachzentrums Psychosomatik und Psychotherapie in der Schön Klinik Roseneck, einen Stressor dar, der in immer stärkerem Maße auch unter Jugendlichen greife. Die Stilisierung des schlanken Frauen- sowie des sportlich-definierten Männerkörpers wird seit den 1960er-Jahren propagiert. „Dabei ist dieses Idealbild für 90 Prozent der Menschen unerreichbar“, so Vorderholzer. Gerade Jugendliche setzten sich jedoch schon sehr früh mit diesen Körperbildern auseinander, trainierten regelmäßig im Fitnessstudio und seien auf der Suche nach der „richtigen“ Ernährung.
„Das Selbstbild junger Menschen ist noch nicht stabil, darum sind sie besonders empfänglich für Botschaften wie den medial verbreiteten Körperstandard“, sagte Voderholzer. „Während in anderen Ländern schon bestimmte Regeln beispielsweise in der Modeindustrie eingeführt wurden, wonach Models nur auftreten dürfen, wenn sie nachweisbar gesund sind, gibt es solche Reglements in Deutschland nicht“.
Besonders kritisch sei es, wenn die Beschäftigung mit Themen des Gewichts, der gesunden Ernährung oder körperliche Bewegung exzessiv betrieben und darüber andere Bereiche des sozialen Lebens vernachlässigt werden. Oftmals stünden hinter solchem Verhalten Ängste und Unsicherheiten, die junge Menschen mit dem Körperkult zu kompensieren versuchen. Er warnte davor, dass sich eine übertriebene Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper negativ auf die psychische Entwicklung junger Menschen auswirken könne.
„Hirndoping“ durch Neuroenhancer
Eine andere Dimension der Selbstoptimierung stellt die Einnahme von sogenannten Neuroenhancern dar. Diese verschreibungspflichtigen Medikamente werden von gesunden Menschen unter anderem zur Leistungssteigerung eingenommen. Bekanntestes Beispiel ist Ritalin, ein Arzneimittel, das normalerweise beim Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom und bei der Narkolepsie verschrieben wird. Aufgrund seiner konzentrationsfördernden und stimmungsaufhellenden Wirkung wird es jedoch auch von Studierenden und Berufstätigen eingenommen, die sich damit besser auf ihre Arbeit fokussieren und ihre Ergebnisleistungen verbessern wollen.
Aber auch andere Medikamente wie Modafinil oder Antidepressiva kommen beim Neuroenhancement zum Einsatz. Claus Normann, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg: „Ob Medikamente wie Modafinil, Methylphenidat oder Antidepressiva wirklich zu einer Leistungssteigerung führen, ist wissenschaftlich umstritten. Ebenso sind mögliche Nebenwirkungen oder die Suchtgefahr unklar.“
Trotzdem nehmen zwei bis sieben Prozent der Berufstätigen und Studierenden Neuroenhancer ein. Als Bezugsquelle nannte Normann, neben Verschreibungen durch den Arzt, das Internet und den „Schwarzmarkt“ auf dem Schulhof oder an den Unis. Die ethische Debatte über die oft als Hirndoping bezeichnete Einnahme solcher Medikamente bewegt sich dabei zwischen Pro-Argumenten von Selbstbestimmung sowie Kontra-Positionen, die auf die Unfairness und die Zementierung unhaltbarer Arbeitsbedingungen verweisen.
In der Konsequenz forderten die Beteiligten, moderne Lebensumstände noch stärker zu erforschen, um neue Präventivkonzepte und Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. © kk/aerzteblatt.de

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