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Ärzteschaft

„Die Mehrzahl der Sexualstraftäter ist nicht psychisch krank“

Dienstag, 29. November 2016

/ M.E. pixelio.de

Berlin –  Viele Menschen gehen davon aus, dass die Sexualstraftäter psychisch krank sind. Dabei zeigt die Statistik ein anderes Bild: Die Taten werden in den meisten Fällen von psychisch gesunden Personen begangen. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin beschäftigen sich letzte Woche forensische Psychiater mit den Tätertypologien von Sexualdelikten. Sie rufen zu einem differenzierten Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit und den Medien auf.

„Natürlich möchte die Bevölkerung nach den Sexualdelikten wissen, wie es dazu gekommen ist. Doch die These des psychisch kranken Sexualstraftäters greift zu kurz und steht auch für ein falsches Bild von Menschen mit psychischen Erkrankungen“, stellte Nahlah Saimeh, ärztliche Direktorin des LWL-Zentrums für Forensische Psychiatrie Lippstadt, fest.

Auf dem DGPPN Kongress erklärten forensische Experten: Bei Sexualstraftätern handle es sich um eine sehr heterogene Tätergruppe. Die meisten Delikte würden von psychisch gesunden Tätern begangen. Zu den häufigsten Taten gehörten Vergewalti­gungen und sexuelle Nötigung, Exhibitionismus und sexueller Missbrauch von Kindern.

Rund 0,8 Prozent aller Straftäter, die innerhalb eines Jahres verurteilt werden, haben Sexualdelikte begangen. Obwohl sexuelle Inhalte heute über die digitalen Medien so einfach zugänglich sind wie nie zuvor, kann hier keine signifikante Zunahme beobachtet werden, teilte die DGPPN in einer Pressmitteilung mit.

„Auch wenn es auf die große Mehrzahl der Fälle nicht zutrifft, können Sexualstraftaten auch mit gravierenden psychischen Störungen im Zusammenhang stehen", räumte Saimeh ein. Neben sexuellen Präferenzstörungen und Paraphilien könnten zum Beispiel Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenien oder Psychosen eine Rolle spielen. „Die Tätertypologie ist bei der Ausrichtung der rückfallpräventiven Therapie entscheidend", sagte Saimeh, die auch dem DGPPN-Vorstand engehört. Unverzichtbar seien dabei deliktorientierte psychotherapeutische Behandlungsverfahren. „Im Falle ausgeprägter sexueller Präferenzstörungen oder Hypersexualität kommen medikamentöse Behandlungsansätze hinzu“, erläutert Saimeh.

Justizvollzugsanstalt oder psychiatrischer Maßregelvollzug?
Ob und welche Rolle eine psychische Störung bei einer Sexualstraftat gespielt hat, darüber urteilen in Deutschland die Gerichte. Sie stützen sich dabei auf forensisch-psychiatrische Gutachten. Während schuldfähige Sexualstraftäter ihre Strafe in Justizvollzugsanstalten verbüßen, werden jene, welche die Gerichte aufgrund ihrer psychischen Störung als nicht oder vermindert schuldfähig erklären, in eine Klinik des psychiatrischen Maßregelvollzugs eingewiesen. Die Voraussetzungen dazu sind im Strafgesetzbuch geregelt.

„Der Auftrag des Maßregelvollzugs liegt darin, die Patienten durch differenzierte Behandlungsangebote wieder zu einem straffreien, eigenverantwortlichen Leben in Freiheit zu verhelfen. Die Entlassung erfolgt erst dann, wenn Gutachter bei ihnen kein Risiko mehr für erhebliche Straftaten sehen. Gerade bei Sexualstraftätern wurden hier in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht, die Rückfallquote ist deutlich gesunken und hat sich auf Einzelfälle verringert, die aber leider zum Teil schwerwiegend waren“, erklärt Henning Saß, Vorsitzender des Beirates der DGPPN. Während die Dauer der Unterbringung im Maßregelvollzug bisher unbefristet war, muss diese nach einer aktuellen Novellierung der gesetzlichen Grundlagen nach sechs und zehn Jahren kritisch geprüft werden.

Angesichts der Heterogenität der Tätertypologien bei Sexualdelikten rufen die forensischen Experten auf dem DGPPN Kongress zu einem differenzierten Umgang mit der Thematik auf. „Wer die Sexualstraftäter vorschnell als psychisch krank einstuft, verstärkt dadurch auch die Stigmatisierungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen“ warnte Saß vom Uniklinium Aachen. Gleichzeitig fordern die Experten, präventive Programme zur Verhinderung von Sexualdelikten weiter auszubauen. © EB/gie/aerzteblatt.de

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