Politik
Antibiotikaverordnungen: Innovationsfonds fördert Konzept von KVen und Kassen
Mittwoch, 30. November 2016
Berlin – Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wird ein gemeinsames Konzept der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), von elf Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und dem Verband der Ersatzkassen (vdek) mit rund 14 Millionen Euro fördern.
Die Partner wollen mit dem Modellprojekt „RESISTenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegsinfektionen“ die Zahl unnötiger Antibiotikaverordnungen in Deutschland verringern. „Wertvolle Antibiotika müssen den Situationen vorbehalten bleiben, in denen sie noch wirksam sind. Damit dies so bleibt, muss ihr Einsatz für Bagatellinfektionen weiter reduziert werden“, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen.
„Die Ersatzkassen und der vdek wollen gemeinsam mit der KBV einen Beitrag dazu leisten, eine verlässliche und sichere Versorgung mit den hochwirksamen Arzneimitteln dauerhaft zu erhalten und zugleich vermeidbare Neben- und Wechselwirkungen zu verhindern“, erläuterte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek.
Akute Atemwegsinfektionen der oberen und unteren Atemwege werden bekanntlich meist durch Viren verursacht. Antibiotika werden laut vdek aber dennoch in der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland zu häufig verschrieben. „Besonders der Anteil von verordneten Breitbandantibiotika ist im internationalen Vergleich deutlich zu hoch“, teilte der Kassenverband mit. Eine Ursache dafür scheine zu sein, dass Ärzte die Erwartungshaltung ihrer Patienten auf eine Antibiotikaverordnung überschätzten. Darüber hinaus würden aus einem „irrationalen Gefühl größerer Sicherheit heraus“ zu oft nicht-angemessene Breitspektrumantibiotika eingesetzt, so der vdek.
„Das Projektdesign zeichnet sich durch einen niedrigschwelligen Ansatz nah am Versorgungsalltag aus“, erläuterte Gassen. „RESIST“ richte sich an Hausärzte, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Kinder- und Jugendärzte, also solche, die Patienten bei akuten Atemwegsinfekten üblicherweise zunächst aufsuchen. Etwa 3.000 Ärzte in elf KV-Regionen werden ab dem zweiten Quartal 2017 die Möglichkeit haben, sich bei der zuständigen KV in das Versorgungsmodell einzuschreiben.
Diese Regionen sind Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe. Voraussetzung für die Einschreibung ist die Teilnahme an einer vorbereitenden Online-Schulung.
Besonders wichtig sei die Arzt-Patienten-Kommunikation und besonders die gemeinsame Entscheidungsfindung, informiert die KBV. Hierzu haben die Projektpartner spezifische Instrumente entwickelt, unter anderem Informationsflyer für Patienten und Entscheidungshilfen für Ärzte und Patienten.
Um das eigene Verordnungsverhalten einordnen zu können, sei zudem vorgesehen, den Ärzten vor Beginn der Erkältungssaison 2018 einen Feedbackbericht zur Verfügung zu stellen. Dieser soll Informationen zum Antibiotikaverordnungsverhalten aller teilnehmenden Ärzte im Vergleich zu den Nicht-Teilnehmern in ihrer KV-Region geben.
Das Modellprojekt soll Anfang 2017 starten. Das Institut für Allgemeinmedizin der Universität Rostock soll es zusammen mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) wissenschaftlich begleiten. Ergebnisse der Evaluation sollen Ende 2019 vorliegen.
zum Thema
Deutsches Ärzteblatt print
aerzteblatt.de
Auch andere Krankenkassen beteiligen sich an Projekten des Innovationsfonds: So sind unter ihnen 18 Projekte, an denen sich die AOK beteiligt, und die zusammen 133 Millionen Euro aus dem Fonds erhalten. „Wir wollen, dass aus diesen innovativen Projekten neue Versorgungsansätze mit Dauerstatus werden können“, sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Deshalb sei die unabhängige wissenschaftliche Begleitung und Evaluation sehr wichtig.
Im Themenfeld „Ländliche Gebiete“ ist vor allem die AOK Nordost oft beteilligt: Vom Projekt zur Versorgungsstruktur im Landkreis Templin, über den Aufbau eines sektorübergreifenden Care-Centers zur Versorgungsoptimierung chronischer Herzerkrankungen bis hin zur notfallmedizinischen Neuausrichtung eines Landkreises. Außerdem beteiligt sich die AOK Nordost an einem Projekt der Akut-Neurologischen Versorgung in Nordostdeutschland mit telemedizinischer Unterstützung.
Im Bereich „Telemedizin, Telematik und E-Health“ sind AOKs in mehreren Projekten mit von der Partie: Die AOK-Baden-Württemberg legt eine Studie zur Implementierung teledermatologischer Konsile in die hausärztliche Versorgung auf. Die AOK Niedersachsen engagiert sich für die bessere Versorgung nach Nierentransplantationen, die AOK Bayern in einem Pilotprojekt zur telemedizinischen Notfallversorgung im Rettungsdienst einer ländlichen Region sowie für die E-Health-gestützte Rückenschmerztherapie. Und die AOK Rheinland/Hamburg sowie die AOK NordWest sind gemeinsam mit anderen Kassen an einem großen Projekt in NRW zum Aufbau einer telemedizinischen digitalen Netzwerkstruktur zur Verbesserung der wohnortnahe Versorgung beteiligt.
Im Themenfeld „Arzneimitteltherapiesicherheit“ stemmen die AOK Bayern und die AOK Rheinland/Hamburg gemeinsam mit Ärztenetzen vor Ort ein großes Projekt, um Antibiotika-Resistenzen gezielter zu bekämpfen. „Kinder und Jugendliche“ sind im Fokus eines Projekt zur virtuellen Diabetesambulanz, für das die AOK NordWest eine Förderzusage erhalten hat. Auch das Projekt der AOK Nordost zur unterstützenden Intensivprophylaxe mit zahnärztlicher Sanierung unter Narkose unterstützt Kinder.
Förderungen erhalten auch zwei Projekte im Themenfeld „Pflegebedürftige zur verbesserten Versorgung psychischer und neurologischer Krankheiten (AOK Rheinland/Hamburg) sowie zur erweiterten koordinierten ärztlichen Pflegeheimversorgung (AOK Baden-Württemberg). Auch sind vier AOKen (AOK Nordost, AOK Plus, AOK Baden-Württemberg, AOK Bayern) an einem Projekt zur Verbesserung der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen durch die Umsetzung von im nationalen Aktionsplan (NAMSE) konsentierten Maßnahmen beteiligt.
Weitere Projekte mit AOK-Beteiligung: Hamburg Billstedt/Horn als Prototyp für eine integrierte gesundheitliche Vollversorgung in großstädtischen Regionen und die strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose in Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Der Innovationsfonds stellt in den Jahren 2016 bis 2019 je 300 Millionen Euro für innovative sektorenübergreifende Versorgungsformen und die Versorgungsforschung zur Verfügung. Eine Hälfte der Kosten tragen die gesetzlichen Krankenkassen, die andere Hälfte wird aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert.
Seit gestern liegt die Liste der ersten 29 geförderten Projekte vor, die für neue Versorgungsformen insgesamt 225 Millionen Euro für das Jahr 2016 erhalten. © hil/EB/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema


Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.