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Politik

Streit um medikamentöse Prophylaxen

Freitag, 2. Dezember 2016

Berlin – Sollte die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) künftig – wie bei Impfungen – auch für die medikamentösen Prophylaxen aufkommen? Der Gemeinsame Bundesaus­schuss (G-BA) sieht sich derzeit für das Thema nicht zuständig. Die Deutsche Aidshilfe fordert, eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes oder eine Erwei­terung der Schutz­impfungs­richt­linie des G-BA. Danach sollte das oberste Gremium der Selbstverwaltung von Ärzte­schaft und Krankenkassen auch über die Erstattungsfähigkeit von medikamen­tösen Pro­phy­laxen befinden können.

Hintergrund der Forderungen ist eine Debatte, die sich am Arzneimittel Truvada entzün­det hat. Das Medikament ist seit August nicht nur zur Behandlung HIV-1-infizierter Erwa­ch­­se­ner zugelassen, son­dern auch zur präexpositionellen (PrEP) HIV-Prophylaxe. Es stehe au­ßer Frage, dass Ärzte das Medikament zu Behandlung von HIV zulasten der GKV ver­ord­nen können“, erklärte G-BA-Chef Josef Hecken auf Nachfrage.

Der Gesetz­geber ha­be allerdings das Leistungsspektrum der GKV für solche Leistun­gen, die der Präven­tion von Krankheiten dienen, klar definiert. „Für Arzneimittel gilt daher, dass diese in der Re­gel nur zur Krankenbehandlung zur Verfügung gestellt werden. Daneben gibt es weitere Anwendungsbereiche; dies setzt jedoch voraus, dass es sich um eine Schutz­im­pfung oder medizinische Vorsorgeleistung handelt“, erklärte Hecken. „Bei Truvada han­delt es sich zweifellos nicht um einen Impfstoff.“

Hecken führte weiter aus, dass Truvada „keine Alternative zu Safer-Sex-Prakti­ken“ sei, wie sie die Verwendung von Kondomen darstellen würde. Schon in der Zulassung werde darauf hingewiesen, dass Truvada zur Präexpositionsprophylaxe nur als Teil einer Ge­samtstrategie zur Prävention einer HIV-1-Infektion, das heiße nur in Kombina­tion mit der Verwendung von Kondomen, angewendet werden sollte. „Ein gesetzlich vorausgesetzter Vorsorgebedarf besteht insoweit nicht“, so Hecken.

Vor dem Hintergrund der sehr engen gesetzlichen Grenzen zur Erstattung von Truvada als Medikament zur HIV-Prophylaxe sowie dem Umstand, dass ein Bereich der eigen­ver­antwortlichen, gesundheitsbewussten Lebensführung betroffen sei, gebe es „derzeit kei­ne Veranlassung“ dafür, dass sich der G-BA mit der Frage der Erstattungsfähigkeit be­fasse. „Die Anwendung von Truvada erfordert arzneimittelrechtlich immer eine ärztli­che Verschreibung. Eine davon abzugrenzende Verordnung zulasten der GKV ist je­doch grundsätzlich nur zur Behandlung von HIV-Erkrankten möglich“, stellte Hecken klar.

Die Deutsche Aids-Hilfe zeigt sich enttäuscht. „Wir bedauern sehr, dass der Gemein­same Bundesausschuss, der sonst für die Erstattungsfähigkeit aller Medikamente zustän­dig ist, sich nicht mit der PrEP befassen möchte“, sagte Sylvia Urban vom Vor­stand der Deut­sch­en Aids-Hilfe. Aus Sicht der Aids-Hilfe offenbart die Absage Heckens eine „System­lücke“. „Medikamentöse Prophylaxen sind nicht eindeutig vorgesehen. Da sie aber wirk­sam sind, brauchen wir so schnell wie möglich eine Lösung“, findet Urban. Sie appelliert an die Bundesregierung, ein klares Signal zu setzen, dass die PrEP ein Teil unserer er­folg­­­reichen deutschen Präventionsstrategie werden soll.

Die Deutsche AIDS-Hilfe hatte am Dienstag gemeinsam mit der Deutschen Aids-Gesell­schaft (DAIG) und dem HIV-Ärzteverbund dagnä in einem Appell die Einführung der PrEP in Deutschland gefordert. Diese könne nach Ansicht der Organisationen dazu beitragen, die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland zu senken, indem sie Menschen mit häufigen Risikokontakten zur Verfügung gestellt wird. „Die PrEP mit Verweis auf die Möglichkeit des Kondomgebrauchs zurückzuweisen, wird der Sache nicht gerecht“, kritisierte Urban. Es gehe gerade darum, Menschen eine Schutzmöglichkeit anzubieten, denen der Schutz mit Kondomen aus verschiedenen Gründen nicht gelinge.

Wie der GKV-Spitzenverband und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die De­bat­te um medikamentöse Prophylaxen bewerten, ist unklar. Beide äußerten sich auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes bislang nicht. © may/aerzteblatt.de

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