Medizin
Thromboseprophylaxe nach Arthroskopie oder Gipsverband in Studie ohne Vorteile
Montag, 5. Dezember 2016
Leiden – Eine Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin (LMWH) hat in zwei pragmatischen randomisierten Studien im New England Journal of Medicine (2016; doi: 10.1056/NEJMoa1613303) die Zahl der thromboembolischen Komplikationen nicht vermindert. Ein Grund könnte das niedrige Ausgangsrisiko gewesen sein.
Nach den meisten orthopädischen Operationen, etwa einem Gelenkersatz an den unteren Extremitäten, wird heute eine medikamentöse Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE) durchgeführt, deren Nutzen durch randomisierte klinische Studien gut belegt ist. Ob auch Patienten, die sich einer arthroskopischen Operation am Kniegelenk unterziehen oder vorübergehend einen Unterschenkelgipsverband erhalten, eine VTE-Prophylaxe benötigen, ist weniger gut untersucht.
Bei arthroskopischen Eingriffen beruht die Evidenz auf kleineren Studien, die die Cochrane Collaboration 2008 in einer Meta-Analyse zusammengefasst hat, sowie auf zwei neueren größeren Studien einer italienischen Arbeitsgruppe. Alle weisen auf eine präventive Wirkung von LMWH oder einem neueren Antikoagulans (Rivaroxaban) hin. Es wurden jedoch in erster Linie asymptomatische Thrombosen verhindert, die in der täglichen Praxis nicht auffallen und für die Patienten häufig ohne Folgen bleiben. Auch für Patienten mit Gipsverbänden sah die Cochrane Collaboration 2008 eine Evidenz, die sich allerdings auf Studien gründet, in der Patienten mit einem hohen Risiko ausgewählt wurden.
Die beiden niederländischen Studien Pot-Kast (Prevention of Thrombosis after Knee Arthroscopy) und Pot-Cast (Prevention of Thrombosis after Lower Leg Plaster Cast) wurden dagegen ohne Vorauswahl der Patienten durchgeführt.
An der Pot-Kast-Studie wurden 1.451 Patienten nach einem arthroskopischen Eingriff am Kniegelenk (zu drei Vierteln Meniskektomien, daneben auch diagnostische Eingriffe und Entfernung freier Gelenkkörper) auf eine bis zu achttägige VTE-Prophylaxe mit dem in der Klinik üblicherweise verwendeten LMWH (in der Regel Nadroparin oder Dalteparin) oder auf keine VTE-Prophylaxe randomisiert.
An der Pot-Kast-Studie nahmen 1.435 Patienten teil, die aus verschiedenen Gründen einen Unterschenkelgipsverband erhielten. Auch hier wurden die Patienten auf eine bis zu achttägige VTE-Prophylaxe mit einem LMWH oder keine VTE-Prophylaxe randomisiert. Beide Studien waren nicht Placebo-kontrolliert.
Auffallend war die niedrige Rate von VTE: Während der Beobachtungszeit von drei Monaten erkrankten in der Pot-Kast-Studie nur 8 von 1.451 Teilnehmern an einer VTE (darunter 2 Lungenembolien). In der Pot-Cast-Studie waren es 26 von 1.435 Patienten (darunter 6 Lungenembolien).
Vor diesem Hintergrund war es kaum möglich, einen Vorteil der LMWH-Prophylaxe nachzuweisen. In der Pot-Kast-Studie entfielen sogar 5 der 8 VTE (0,7 Prozent) auf die LMWH-Gruppe. Die anderen 3 VTE (0,4 Prozent) traten bei Patienten ohne Prophylaxe auf. Das Team um Suzanne Cannegieter vom Medizinischen Zentrum der Universität Utrecht ermittelt ein relatives Risiko von 1,6 (zuungunsten der LMWH-Gruppe), das mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,4 bis 6,8 jedoch nicht signifikant war. In beiden Gruppen kam es bei jeweils einem Patienten zu einer schweren Blutung.
zum Thema
- Abstract der Studie im NEJM
- Pressemitteilung der Universität Leiden
- Registrierung der Pot-Kast-Studie
- Registrierung der Pot-Cast-Studie
- Cochrane Meta-Analyse zu Patienten nach Arthroskopie
- Studie zur VTE-Prophylaxe mit Rivaroxaban
- Studie zur VTE-Prophylaxe mit Nadroparin
- Cochrane Meta-Analyse zu Patienten nach Gipsverbänden
- Leitlinie
In der Pot-Cast-Studie kam es trotz der LMWH-Prophylaxe bei 10 Patienten zu einer VTE (1,4 Prozent) gegenüber 13 Patienten (1,8 Prozent) in der Kontrollgruppe. Das relative Risiko betrug 0,8 und war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,3 bis 1,7 nicht signifikant. In dieser Studie erlitt kein Patient eine schwere Blutung.
Die Ergebnisse gelten natürlich nur vor dem Hintergrund des Patientenkollektivs. Die im Mittel 49 Jahre alten Patienten hatten in der Regel keine weiteren Erkrankungen, und Risikofaktoren wie aktives Rauchen, Einnahme von Kontrazeptiva oder gar Krebserkrankungen in der Vorgeschichte waren selten. Dass es nach durchaus banal erscheinenden medizinischen Maßnahmen wie der Anlage eines Gipsverbandes zu thromboembolischen Komplikationen kommen kann, zeigt der Fall eines über 90-jährigen Teilnehmers aus der Kontrollgruppe der Pot-Cast-Studie, der unter einer Herzinsuffizienz litt. Er starb innerhalb der ersten drei Monate möglicherweise an einer Lungenembolie.
Die Diagnose ist nicht sicher, da keine Autopsie durchgeführt wurde, und es bleibt spekulativ, ob eine VTE-Prophylaxe den Tod verhindert hätte. Im Nachhinein hätten die meisten Experten in diesem Fall wohl eine Indikation für eine Prophylaxe mit einem LMWH gesehen. © rme/aerzteblatt.de

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