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Ärzteschaft

„Ich will überhaupt nicht, dass MVZ den Markt beherrschen“

Montag, 12. Dezember 2016

Berlin – Seit der Gesetzgeber im Jahr 2004 die Grün­dung von Medizinischen Versor­gungs­­zentren (MVZ) er­möglichte, stieg deren Zahl kontinuierlich an: von 70 im Jahr 2004 auf 2.156 im vergangenen Jahr. Zwischen den Jahren 2006 und 2013 ging die Zahl der Neugrün­dun­gen jedoch merklich zurück, seither steigt sie lang­sam wieder. Peter Velling, Ärztlicher Leiter des MVZ der Evangelischen Lungenklinik Berlin und Mitglied des Vor­stands des Bundesverbandes MVZ, erklärt die Gründe für diese Entwicklung und wes­halb MVZ-Ärzte keine schlechteren Ärzte sind als Niedergelassene.

Fünf Fragen an Peter Velling, Bundesverband MVZ
DÄ: Die Anzahl der MVZ in Deutschland ist in den ver­gan­genen Jahren weiter kontinuier­lich angestiegen, allerdings auf niedrigem Niveau. Hätten Sie vor fünf Jahren erwartet, dass mehr MVZ gegründet werden?

Peter Velling: Nein, im Gegenteil. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es heute so vie­le sind. Mich haben die vielen Neugründungen in den Anfangsjahren beein­druckt. Dass es jetzt im Verhältnis weniger Neugrün­dun­gen gibt, finde ich nicht ungewöhnlich. Zudem richtet sich die Anzahl der Neugründungen auch nach den Vor­gaben des Gesetzgebers. Beispielsweise wurde den Gründungen im Jahr 2012 ein Rie­gel vorgeschoben, indem mit dem GKV-Versor­gungsstrukturgesetz die Zahl der Träger­schaften eingeschränkt wurde. Diese wurde 2015 mit der Zulässigkeit fachgleicher MVZ wieder erweitert, was eine Stei­ge­rung zur Folge haben wird. Ich bin mit der derzeitigen Entwicklung sehr zufrieden. Denn ich will überhaupt nicht, dass MVZ irgendwann den Markt komplett beherrschen und die Einzel­praxis verdrängen. Ich finde es gut, wenn es für Ärzte und Patienten ver­schiedene Möglichkeiten gibt. Das MVZ ist eine davon. Ich bin für ein gleichberechtigtes Nebeneinander.

DÄ: Warum hält aus Ihrer Sicht der Trend an, dass Ärzte in MVZ arbeiten wollen? Und wie wird die Entwicklung weitergehen?
Velling: Es gibt unterschiedliche Gründe, warum es für Ärzte attraktiv ist, in einem MVZ im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Spontan fallen mir vier ein. Als erstes hat der Arzt tatsächlich mehr Zeit, sich dem Patienten zu widmen. Auch ist zweitens davon auszu­geh­en, dass ein angestellter Arzt im MVZ gerne im Team arbeitet und am direkten Aus­tausch und der Kommunikation mit Kollegen interessiert ist. Das bedeutet nicht, dass der nie­der­gelassene Arzt nicht auch das fachliche Miteinander sucht, doch ist die Aus­rich­tung in der Einzelpraxis per se eine andere. Drittens: Einige Ärzte möchten gerne in Teilzeit ar­bei­ten. Und zu guter Letzt bieten MVZ für manche Ärzte auch eine Möglichkeit, ihren Ver­tragsarztsitz weiterzugeben.

Ich glaube, dass die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren in Deutschland weiter kontinuierlich ansteigen wird, zumindest wenn es keine weiteren einschränkenden ge­setz­lichen Änderungen gibt. Denn die kommende Ärztegeneration schätzt einfach auch das Angestelltenverhältnis.

DÄ: Vieles hat sich in den vergangenen Jahren im Bereich der regulatorischen Rahmen­be­dingungen für MVZ getan. Sind Sie zufrieden mit den aktuellen Rahmenbedingun­gen?
Velling: Nein, aber wer ist schon zufrieden mit den Rahmenbedingungen im Gesund­heits­wesen? Zumindest hat sich ja manches in den vergangenen Jahren verbessert. Ein wichtiger Punkt für mich ist die Gleichbehandlung von MVZ und Einzelpraxen. Dazu hat das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz im letzten Jahr erheblich beigetragen. Doch ist die angesprochene Gleichbehandlung noch nicht in allen Bereichen gegeben.

Bei der Plausibilitätsprüfung werden niedergelassene und angestellte Ärzte in manchen Kassenärztlichen Vereinigungen zum Beispiel noch immer ungleich behandelt. Mancher­orts wird davon ausgegangen, dass angestellte Ärzte keine Überstunden machen, zum Teil wird dabei sogar ein Abrechnungsbetrug angenommen. Natürlich machen auch an­ge­stellte Ärzte Überstunden. Bei ihnen sollten deshalb dieselben Kulanzregelungen an­gewandt werden wie bei niedergelassenen Ärzten.

Zudem gilt die Regel, dass MVZ, die nicht von Vertragsärzten geführt werden, nachran­gig zu berücksichtigen sind, wenn ein Arztsitz ausgeschrieben ist. Das ist eine Ungleich­behandlung.

Wichtig ist es mir an dieser Stelle zu betonen, dass MVZ-Ärzte keine schlechteren Ärzte sind, nur weil sie angestellt arbeiten.  

DÄ: Für Aufsehen hat in diesem Jahr die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ge­sorgt, dass Ärzte, die zugunsten einer Anstellung in einem MVZ auf ihre Zulassung ver­zichten, auch wirklich mindestens drei Jahre in diesem MVZ arbeiten müssen. Wie bewer­ten Sie dieses Urteil?
Velling: Die Forderung, dass im MVZ langfristig versorgt werden soll, finde ich prinzipiell richtig. Denn Patienten und MVZ brauchen Kontinuität. Es gab ja durchaus Fälle teils sehr kurzfristiger Zusammenarbeit. Allerdings muss hier auch mal die Rolle der Zu­lassungsausschüsse hinterfragt werden. Keiner dieser Prozesse kann ohne deren Ge­neh­migung erfolgen – das gilt für sämtliche jetzt vom BSG kritisierten Konstellationen. Eine Kontinuität der Versorgung muss gesichert sein, jedoch nicht unbedingt durch den bisherigen Vertragsarzt, sondern auch durch potenzielle Nachfolger im MVZ.

Insoweit finde ich die Vorgabe des BSG als zu weit gehend. Ich sehe zwei Knackpunkte bei dieser Entscheidung: Erstens: Aus meiner Tätigkeit im Zulassungsausschuss weiß ich: Es gibt Verfahren, in denen die Einbringung in ein MVZ die letzte Möglichkeit ist, da die vorherige Ausschreibung ohne Bewerbung geblieben ist.

Und zweitens: Wie soll man wissen, wie lange ein Arzt im MVZ arbeiten kann, gerade wenn er am Ende seines Berufslebens steht? Zwar geht die Begründung des BSG da­rauf ein, dass es lebensverändernde Umstände geben kann, die die Einhaltung der Drei­jahresfrist unmöglich machen. Doch diese Formulierung ist unglaublich weit dehn­bar. Die darauf bezogene Prozesslawine ist direkt absehbar.

Es ist jetzt an den Zulassungs­­aus­schüssen, das Kind nicht mit dem Bade auszu­schütten: Wenn mögliche Entschlussver­än­de­rungen des bisherigen Vertragsarztes zulasten des MVZ gehen, weil dann die Nach­besetzung verwehrt wird, stehen die mit der Einbringung verbundenen Investitionen un­ter dem Damoklesschwert der Rechtsunsicherheit. Unter dem Stichwort der Versorgungs­kontinuität finde ich das höchst bedenklich. Sinnvoller wäre es aus meiner Sicht, die Gren­ze auf ein Jahr zu setzen.

DÄ: Von den 2.156 MVZ in Deutschland befinden sich 910 in der Trägerschaft von Kran­kenhäusern. Werden Ihrer Erfahrung nach MVZ, die sich in der Trägerschaft von priva­ten Krankenhausträgern befinden, anders geführt als MVZ, die von Ärzten gegründet wur­den?
Velling: Das kann man pauschal nicht sagen. Viele Krankenhäuser haben gelernt, das Vertragsarztrecht vom Krankenhausrecht zu unterscheiden. Ein Krankenhaus wird schnell lernen, ob es sein MVZ gut führt oder nicht. Es ist dabei wichtig, ein MVZ eigen­stän­dig zu denken. Wenn man es als ein Anhängsel des Krankenhauses betrachtet, ist man nicht gut beraten, weil der ambulante und der stationäre Sektor eben sehr ver­schieden sind.

Und auch die Patienten sind in beiden Fällen unterschiedlich. Im MVZ gibt es zum Bei­spiel eine deutlich höhere Patientenzahl pro Stunde als im Krankenhaus. Wenn Kran­ken­hausärzte ins MVZ wechseln, müssen sie erst einmal umdenken. Kollegen sollten mög­lichst nur im MVZ oder nur im Krankenhaus beschäftigt sein.

Zudem ist die Situation in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. In Bayern gibt es die meisten MVZ, allerdings kaum MVZ, die von Krankenhäusern geführt werden. In Thüringen gibt es nur wenige MVZ, aber die, die es gibt, sind fast alle in der Hand von Krankenhäu­sern. Grund­sätzlich haben übrigens MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser in letzter Zeit abgenommen und MVZ-Gründungen durch Vertragsärzte zugenommen. © fos/aerzteblatt.de

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