Medizin
Studie: Schädel-Hirn-Trauma fördert kriminelles Verhalten
Freitag, 9. Dezember 2016
Toronto – Junge Erwachsene, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, mussten in einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie im Canadian Medical Association Journal Open (2016: doi: 10.9778/cmajo.20160072) etwa 2,5 Mal häufiger eine Haftstrafe im Gefängnis absitzen. Die Assoziation war in beiden Geschlechtern nachweisbar.
Auch wenn die meisten Schädel-Hirn-Traumata milde sind und die Patienten sich innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten zu erholen scheinen, kann das Beschleunigungstrauma, das das Gehirn „erschüttert“ hat, doch bleibende Schäden hinterlassen. Dies können subtile Veränderungen im Charakter sein, die sich nur schwer nachweisen lassen. Eine mögliche Folge ist eine gesteigerte Kriminalität.
Ein Team um Flora Matheson vom St. Michael's Hospital in Toronto hat hierzu die Daten des Teilstaates Ontario ausgewertet. Dort gibt es eine steuerfinanzierte Gesundheitsversorgung, die allen Bürgern kostenlos zur Verfügung steht. Matheson hat die Diagnosen zu Schädel-Hirn-Traumata, die in einem zentralen Register erfasst werden, mit den Gefängnisstrafen der Bürger in Beziehung gesetzt. Die Analyse beschränkt sich dabei auf die 18- bis 28-Jährigen, weil diese Altersgruppe besonders häufig straffällig wird.
Von den 77.519 jungen Erwachsenen mit einem Schädel-Hirn-Trauma in der Vorgeschichte mussten in einen Zeitraum von 14 Jahren 402 Personen oder 0,5 Prozent eine Haftstrafe absolvieren. Unter den 1.401.887 Bürgern der gleichen Altersgruppe, bei denen kein Schädel-Hirn-Trauma bekannt war, wurden nur 3.331 Menschen oder 0,2 Prozent straffällig. Das ergibt in der Rohanalyse der Daten ein um den Faktor 3,26 erhöhtes Risiko auf eine schwere Straftat. Die Hazard Ratio sank allerdings in einer Multivariat-Analyse auf 2,47. Bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 2,21 bis 2,77 ist die Assoziation statistisch signifikant.
Nicht nur Männer, sondern auch Frauen geraten nach einem Schädel-Hirn-Trauma häufiger mit dem Gesetz in Konflikt. Die Hazard Ratio war mit 2,76 (1,65-4,60) sogar höher als bei Männern. In der Gesamtheit sind Haftstrafen von Frauen jedoch sehr viel seltener als bei Männern, so dass auch das absolute Risiko, nach einem Schädel-Hirn-Trauma in die Kriminalität abzurutschen, geringer ist.
Eine Kausalität lässt sich aus der Assoziation nicht ohne weiteres ablesen. Es ist durchaus möglich, dass Menschen, die aufgrund ihres impulsiven Verhaltens zur Kriminalität neigen, auch ein erhöhtes Risiko auf Schädel-Hirn-Traumata haben. Matheson kann allerdings auf mehrere frühere Studien verweisen, die zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sind. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.