Ärzteschaft
AkdÄ: „Bei weitem nicht jedes neue Arzneimittel wird auch wirklich benötigt“
Mittwoch, 14. Dezember 2016
Berlin – Experten haben auf der Mitgliederversammlung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel im Rahmen des Verfahrens nach Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) diskutiert.
„Bei weitem nicht jedes Arzneimittel, das in Europa neu zugelassen wird, wird auch wirklich benötigt und stellt einen echten therapeutischen Fortschritt dar“, betonte der Vorsitzende der AkdÄ, Wolf-Dieter Ludwig, Anfang Dezember auf der Versammlung in Berlin. So habe nur ein kleiner Teil der Arzneimittel, die neu auf den Markt kommen, einen beträchtlichen Zusatznutzen. Bei vielen sei der Zusatznutzen nicht quantifizier- oder nicht belegbar. Ludwig warnte in diesem Zusammenhang davor, für neue Arzneimittel automatisch den Begriff „innovativ“ zu verwenden.
Ein Manko des AMNOG ist aus Sicht von Ludwig, dass die pharmazeutischen Unternehmer für das erste Jahr nach Marktzulassung den Preis des Arzneimittels weiterhin selbst bestimmen könnten. Den Nutzen des neuen Arzneimittels spiegele der heute häufig exorbitante Preis, beispielsweise bei neuen Wirkstoffen in der Onkologie, in keinerlei Hinsicht wider. „Wir brauchen deshalb Kosten-Nutzen-Bewertungen“, betonte er. „Die sind nach dem Gesetz möglich, werden aber bisher nicht durchgeführt.“
Ludwig kritisierte, dass der Steuerzahler für neue Arzneimittel mitunter zweimal zahle. Einmal für die präklinische akademische Forschung, die klinischen Studien und der Zulassung in vielen Fällen vorausgehe, und dann noch einmal als Beitragszahler in solidarisch finanzierten Gesundheitssystemen, die die Medikamente am Ende bezahlen. Er betonte, dass neue Arzneimittel, die einen therapeutischen Fortschritt bringen, erschwinglich sein und für alle Patienten zugänglich sein müssten. „Das ist derzeit definitiv nicht immer der Fall“, kritisierte er. Zudem sollten die pharmazeutischen Unternehmer durch geeignete Anreize motiviert werden, bei der Entwicklung ihrer Arzneimittel den bestehenden medizinischen Bedarf, zum Beispiel neue Antibiotika gegen resistente Bakterien, stärker zu berücksichtigen.
Problem „patientenrelevanter Zusatznutzen“
Bernd Mühlbauer, Mitglied des Vorstands der AkdÄ, kritisierte, dass es den Herstellern aus seiner Sicht nicht in erster Linie darum gehe, gute klinische Studien aufzusetzen. „Am Anfang war ich vom AMNOG sehr beeindruckt“, sagte Mühlbauer. „Und ich hatte das Gefühl, dass es besser werden würde und dass die pharmazeutischen Unternehmen wirklich überlegen, wie sie gute Studien aufsetzen können.“ Mittlerweile habe er aber das Gefühl, dass die Hersteller nach wie vor die Studien so anlegten, dass die Studienergebnisse günstig für ihr Prüfpräparat aussähen, und nicht, um den patientenrelevanten Zusatznutzen herauszuarbeiten.
„Viele von uns haben sich darüber sehr geärgert“
Jürgen Spehn, Leitender Oberarzt am Klinikum Links der Weser in Bremen und ordentliches Mitglied der AkdÄ, nannte Beispiele. Bei der Zulassungsstudie des Wirkstoffs Pomalidomid zur Therapie von vorbehandelten Myelompatienten seien die Patienten im Prüfarm mit Pomalidomid und niedrig dosiertem Dexamethason behandelt worden und die Patienten im Kontrollarm mit einem Placebo und hoch dosiertem Dexamethason.
„Hochdosiertes Dexamethason ist toxisch und führt zu zahlreichen Infekten. Schon deshalb gab es im Kontrollarm eine deutlich höhere Mortalität“, erklärte Spehn. „Die Patienten im Prüfarm hatten einen Überlebensvorteil von zwei Monaten, aber nicht wegen der Wirksamkeit von Pomalidomid, sondern, nach unserer These, wegen des hoch dosierten Dexamethasons im Kontrollarm. Wir hielten das für methodisch nicht richtig. Viele von uns haben sich darüber sehr geärgert.“
IQWiG: Zulassungsbehörden und G-BA brauchen Sanktionsmöglichkeiten
Und Thomas Kaiser, Ressortleitung Arzneimittelbewertung beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), nannte ein Beispiel dafür, dass die Lebensqualität der Patienten in vielen klinischen Studien nach wie vor nicht adäquat berücksichtigt werde. „Mit dem sogenannten EORTC-Fragebogen wird bei klinischen Studien die Lebensqualität der Patienten erhoben“, erklärte er und beschrieb ein Dossier eines Tyrosinkinasehemmers, den das IQWiG im Rahmen der frühen Nutzenbewertung zu bewerten hatte.
„In dem Dossier hat der Hersteller den EORTC-Fragebogen nicht sachgerecht ausgewertet. Wir haben in unserer Bewertung darauf hingewiesen. Der Hersteller hat die Daten jedoch nicht nachgereicht. So wurde der Beschluss zum Wirkstoff vom G-BA befristet, mit der Auflage, brauchbare Auswertungen zur Lebensqualität im nächsten Verfahren einzureichen.“ Doch auch beim zweiten Dossier habe keine sachgerechte Auswertung des Fragebogens vorgelegen. „Wir haben dies erneut beanstandet. Erst danach hat der Hersteller brauchbare Analysen eingereicht“, so Kaiser weiter. „Die Daten zeigten, dass der Wirkstoff der Vergleichstherapie im Hinblick auf die Lebensqualität unterlegen war. Diese Information haben wir aber nur erhalten, weil wir hartnäckig geblieben sind.“
Kaiser kritisierte, dass auch die internationalen Zulassungsbehörden EMA und FDA nach wie vor „keinen großen Wert“ auf die Erhebung der Lebensqualität der Patienten legten. „Es geht ihnen vor allem um Tumorveränderungen, zum Beispiel das progressionsfreie Überleben, sowie die Mortalität.“ Die Erhebung der Lebensqualität laufe unter „ferner liefen“. „Das sind aber so wichtige Daten, dass wir sie von den Herstellern einfordern müssen“, sagte Kaiser.
Schließlich kritisierte Kaiser, dass der G-BA keine gesetzliche Möglichkeit habe, die Pharmafirmen zu sanktionieren, wenn diese geforderte Studien nicht lieferten. „Bei fünf Verfahren hat der G-BA explizit oder implizit ganz neue Studien gefordert“, sagte Kaiser. „Keine einzige wurde bislang vorgelegt.“ © fos/aerzteblatt.de

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