Politik
Medizinische Versorgung von Geflüchteten regional unterschiedlich
Mittwoch, 14. Dezember 2016
Stuttgart – Welche Behandlung ein Asylsuchender bei einer Erkrankung erhält, hängt in Deutschland von drei zufälligen Faktoren ab: 1. Der Gemeinde, der er zugewiesen wurde, 2. von der Person, die ihn im Sozialamt betreut sowie 3. von den juristischen Kenntnissen der Ärzte, die ihn behandeln. Gesundheitswissenschaftler fordern daher in der Fachzeitschrift Das Gesundheitswesen einheitliche Regelungen für die medizinische Betreuung von Geflüchteten (2016, DOI:10.1055/s-0042-116231).
Wann erhalten Asylsuchende nach AsylbLG eine ärztliche Behandlung?
- akut Erkrankte
- Schmerzzustände
- nötige Schutzimipfungen
- werdende Mütter und Wöchnerinnen
In den meisten Bundesländern und Gemeinden entscheidet ein Mitarbeiter des Sozialamtes, ob ein Asylsuchender im Krankheitsfall einen Arzt aufsuchen kann. Eine Behandlung steht ihm nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der Regel für die ersten 15 Monate nur eingeschränkt zu (siehe Kasten). Von den Leistungen, die gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland erhalten, ist dies weit entfernt, kritisiert Oliver Razum, Dekan der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Andere Einwanderungsgruppen, wie Arbeitsmigranten oder (Spät-)Aussiedler würden dagegen wie Kassenpatienten eingestuft und wie solche behandelt.
Elektronische Gesundheitskarte bisher nur in wenigen Bundesländern und einzelnen Kommunen
Bundesländer ohne elektronische Gesundheitskarte (eGK):
- Sachsen
- Bayern
- Baden-Württemberg
Hier entscheidet ein Mitarbeiter des Sozialamtes, ob eine akute Erkrankung vorliegt.
Stand: 14.12.2016
Bei Asylsuchenden stellt es sich hingegen wie folgt dar: In Hamburg, Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein erhalten alle Asylsuchenden eine elektronische Gesundheitskarte (eGK), mit der sie im Fall einer akuten Erkrankung direkt eine Arztpraxis aufsuchen können. In einigen Bundesländern, etwa Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachen, gibt es die elektronische Gesundheitskarte nur in einzelnen Kommunen. Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg haben sich entschieden, keine eGK auszugeben. Dort entscheidet ein Mitarbeiter des Sozialamtes, ob eine akute Erkrankung vorliegt. Viele Angestellte seien dazu kaum befähigt, vermutet Razum, da sie in der Regel keine medizinische Ausbildung haben. Für den Asylsuchenden sei es dann oft vom Zufall abhängig, ob er eine Behandlung erhalte oder nicht.
Die Notwendigkeit, vorab einen Behandlungsschein im Sozialamt zu beantragen, könne zudem zu Verzögerungen führen, die eine Früherkennung und rechtzeitige Behandlung von Erkrankungen behindern, befürchtet einer der Co-Autoren der Studie, Kayvan Bozorgmehr vom Universitätsklinikum Heidelberg. Darüber hinaus sei für Ärzte häufig nicht erkennbar, ob die Behörden die Kosten für eine Behandlung übernehmen. Bozorgmehr und Razum sehen hier die Therapiefreiheit der Ärzte eingeschränkt. Für den Asylsuchenden wiederum komme es einem weiteren Zufall gleich, welche Behandlung er erhalte.
zum Thema
- Das Gesundheitswesen 2016
- Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende und Flüchtlinge, Mai 2016
aerzteblatt.de
Andere Länder gewähren vollen Zugang zu allen Leistungen des Regelsystems
Nach Einschätzung von Judith Wenner von der Universität Bielefeld sind die Motive, die zur Einschränkung der Gesundheitsversorgung führen, sachlich nicht immer begründet. Die Annahme, dass die Asylsuchenden sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten und deshalb keinen dauerhaften Anspruch auf eine Behandlung benötigen, sei falsch. Fast die Hälfte der Asylanträge würde derzeit anerkannt. Die meisten Schutzsuchenden mit „schlechter Bleibeperspektive“ würden zudem oft länger als 15 Monate auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten. Auch die Befürchtung, dass die Aussicht auf eine gesundheitliche Versorgung die Asylsuchenden nach Deutschland locke, ist ihrer Ansicht nach nicht zutreffend. In Österreich, Frankreich und der Schweiz würden Asylsuchende nach der Registrierung vollen Zugang zu allen Leistungen des Regelsystems erhalten. Die Zuwanderung sei in diesen Ländern dennoch niedriger als in Deutschland.
Razum fordert daher ähnliche Regelungen für Deutschland. Asylsuchende sollten bundeseinheitlich den gleichen Anspruch auf gesundheitliche Versorgung haben. © EB/gie/aerzteblatt.de

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