Politik
Arzneimittelgesetz: Experten diskutieren Auswirkungen auf Ärzte
Donnerstag, 15. Dezember 2016
Berlin – Vertreter von Ärzteschaft und Krankenkassen haben befürwortet, dass die Praxissoftware von Vertragsärzten künftig auch Informationen über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel enthalten soll. Im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag erhalten, seine Beschlüsse zur frühen Nutzenbewertung neuer Medikamente so aufzubereiten, dass sie den Ärzten in ihrer Praxissoftware zur Verfügung gestellt werden können.
„Wir begrüßen den Auftrag an den G-BA“, sagte Wilhelm Niebling, stellvertretender Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), gestern bei der Anhörung zum AMVSG vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages. Niebling sprach sich dafür aus, die entsprechenden Informationen auch Krankenhausärzten zukommen zu lassen. Zugleich warnte er davor, pharmazeutische Unternehmen bei der Ausgestaltung der Informationen für die Praxissoftware miteinzubeziehen, so wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist. „Wir halten eine interessenfreie Information der Ärzte für zwingend notwendig“, sagte Niebling.
KV Westfalen Lippe: Leitlinien in Informationen über Zusatznutzen aufnehmen
Auch der 1. Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe, Wolfgang-Axel Dryden, begrüßte das Vorhaben der Bundesregierung. Denn bislang seien die Informationen über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel noch nicht ausreichend bei den Ärzten angekommen. „Ich frage mich allerdings, wie man so etwas Komplexes wie die frühe Nutzenbewertung des G-BA in die Praxissoftware hineinbringen will“, sagte er.
Dryden forderte, dass auch die Inhalte der Leitlinien mit aufgenommen werden müssten: „Die frühe Nutzenbewertung ist die erste Einschätzung des Zusatznutzens. Sie wird auf einer geringen Wissensbasis erstellt. Die Leitlinien entwickeln sich hingegen noch wesentlich später.“ Deshalb müssten sie berücksichtigt werden. Berücksichtigt werden müssten zudem auch die das Arzneimittel betreffenden, regional verhandelten Steuerungselemente.
Auch der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, befürwortete die Pläne. Zugleich forderte er, dass die Praxissoftware einmal alle 14 Tage upgedatet werden soll, damit sie stets auf dem aktuellen Stand der G-BA-Beschlüsse sei.
AkdÄ: Umsatzschwelle ist deutlich zu hoch angesetzt
Mit dem AMVSG will die Bundesregierung das Verfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) modifizieren sowie die Ergebnisse des Pharmadialogs umsetzen, den unter anderem das Bundesgesundheitsministerium mit Vertretern der Pharmaindustrie im Laufe dieser Legislaturperiode geführt hat. Eine der geplanten Regelungen ist die Einführung einer Umsatzschwelle für neue Arzneimittel. Demnach soll der vom Hersteller frei gewählte Preis innerhalb des ersten Jahres nach Markteintritt nur gelten, solange die gesetzliche Krankenversicherung für das Medikament weniger als 250 Millionen Euro bezahlt. Danach gilt der zwischen GKV-Spitzenverband und Hersteller verhandelte Erstattungsbetrag.
„Wir fordern, dass der Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem ersten Tag des Inverkehrbringens gültig ist“, betonte Niebling von der AkdÄ. „Die Umsatzschwelle halten wir für nicht effizient.“ Denn mit 250 Millionen Euro sei sie eindeutig zu hoch angesetzt.
AkdÄ: Hersteller zwingen, absehbare Lieferengpässe zu melden
Niebling kritisierte, dass das Problem der Lieferengpässe im AMVSG weitgehend ausgespart wurde. Denn „das Problem der Lieferengpässe besteht nach wie vor“, sagte er. Als Beispiel nannte er das Zytostatikum Melphalan oder Antibiotika zur Erstlinienbehandlung von Pneumonien. „Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus“, kritisierte Niebling. „Wir denken, dass gesetzliche Maßnahmen notwendig sind, die Pharmaunternehmer und die Großhändler zu zwingen, absehbare Lieferengpässe an die Bundesoberbehörden zu melden sowie Sanktionen vorzusehen, wenn dies nicht geschieht.“
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Regierung plant „Evidenztransfer“ für Kinderarzneimittel
Im AMVSG wird auch das Problem aufgegriffen, dass häufig keine klinischen Studien für Kinderarzneimittel vorliegen. Für diese Arzneimittel soll der G-BA künftig einen sogenannten Evidenztransfer aus Studien vornehmen können, an denen Erwachsene teilgenommen haben. „Grundsätzlich haben wir gegen einen Evidenztransfer keine Einwände“, sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach. Die Regelung dürfe aber nicht dazu führen, dass gar keine Studien an Kindern mehr durchgeführt würden. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass Kinder häufig kindgerechte Applikationsformen benötigten.
Kritik an Rabattverträgen für Impfstoffe
Angesprochen wurde auf der Anhörung auch die Ausschreibung von Impfstoffen für Rabattverträge. KV-Chef Dryden kritisierte diese Regelung: „Die Ausschreibung von Impfstoffen birgt immer die Gefahr von Versorgungslücken, weil sich Produkte auf einen Hersteller konzentrieren.“
Kritik kam auch vom Vorstandsvorsitzendes des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Martin Zentgraf: „Die Ausschreibung der Impfstoffe ist ein Paradebeispiel für die Problematik von Rabattverträgen.“ Denn die Herstellung von Impfstoffen sei sehr komplex und zeitaufwendig. Durch die Rabattverträge hänge die Versorgung mit Impfstoffen zu 70 Prozent von einem Anbieter ab. „Wenn dieser Anbieter einmal ausfällt, kann das nicht kompensiert werden“, sagte Zentgraf. „Dann hätten ganze Landstriche keinen Impfschutz mehr.“ © fos/aerzteblatt.de

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