Medizin
Frühgeborene: Entwicklungsstörungen beginnen möglicherweise vor der Geburt
Mittwoch, 11. Januar 2017
Detroit – Die Entwicklungsstörungen, die häufig bei Frühgeborenen beobachtet werden, beginnen möglicherweise bereits vor der Geburt. Darauf deuten die Ergebnisse einer Studie in Scientific Reports (2017; 7: 39286) hin, in der mit einer neuen Technik die Hirnaktivität von Feten gemessen wurde.
Frühgeborene haben nicht nur einen schwierigen Start ins Leben. Auch im späteren Kindesalter gibt es häufiger Probleme. Sie neigen eher als andere Kinder zu Autismus, ADHS und emotionalen Störungen, und in der Schule sind die Noten häufig schlecht. Bisher wurde dies auf die kritische Phase in den ersten Lebenswochen zurückgeführt. Die Neurologin Moriah Thomason von der Wayne State University School of Medicine in Detroit vermutet jedoch, dass die Probleme schon vorher beginnen, nämlich vor der Geburt.
In einer Studie hat die Forscherin die Hirnaktivität von Feten untersuchen lassen. Dies ist seit kurzem mit einer Variante der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) möglich. Normalerweise wird mit der fMRT untersucht, wie sich die Hirnaktivität auf äußere Reize hin verändert. Parameter ist der durch die Hirnaktivität gesteigerte Sauerstoffbedarf, der die magnetischen Eigenschaften des Blutes verändert. Bei der fMRT werden die Probanden gebeten, bestimmte geistige Leistungen zu verrichten. Dies ist bei Feten natürlich nicht möglich.
Vor einigen Jahren wurde jedoch ein Verfahren entwickelt, mit dem auch die Hirnleistung im Ruhezustand bestimmt werden kann. Diese „Resting state“ fMRT kann im Prinzip auch bei Feten durchgeführt werden, zumal es beim MRT keine Strahlenbelastung gibt. Das zweite Problem besteht allerdings darin, dass sich die Kinder im Mutterleib bewegen, was zu verwackelten Bildern führt. Schließlich ist zu bedenken, dass das Gehirn des Feten noch recht klein ist.
Die Untersuchungen forderten deshalb viel Geduld. Doch nach durchschnittlich 45 Minuten hatten die Forscher genügend Daten gesammelt, um die Ruheaktivität der Feten von 32 Schwangeren zu beurteilen. Die Frauen hatten aus verschiedenen Gründen ein erhöhtes Risiko auf eine Frühgeburt, und 14 Kinder kamen vor der 36. Woche (aber nach der fMRT-Untersuchung) zur Welt.
Der Vergleich der „Resting state“ fMRT zeigte, dass die Frühgeborenen in einer Region des Frontalhirns, in der sich später die Sprachzentren entwickeln, eine verminderte Ruheaktivität des Gehirns haben. Der Parameter war die „Intrinsic Connectivity Distribution“ (ICD), die Aussagen über die Vernetzung der Hirnzellen erlauben soll.
Angesichts der komplexen Technik, der mühevollen Untersuchung und der abstrakten Parameter ist es erstaunlich, dass die Forschergruppe in den kleinen Gehirnen der Kinder vor der Frühgeburt überhaupt einen Unterschied gemessen hat. Welche Bedeutung die Defizite haben, lässt sich kaum abschätzen.
Offen ist auch, welche Noxe vor der Frühgeburt auf das Gehirn eingewirkt haben könnte. Die Veränderungen in dem späteren Sprachzentrum des Gehirns passen allerdings zu den Entwicklungsstörungen, die bei Frühgeborenen häufiger beobachtet werden. Es bleibt abzuwarten, ob die neue Untersuchungstechnik einen Beitrag zur Ursachenforschung leisten kann. © rme/aerzteblatt.de

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