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Politik

„An das Verhalten appellierende Hinweise sind meist nicht ausrei­chend“

Freitag, 27. Januar 2017

Bochum – Die Gesundheitskompetenz vieler Deutscher ist schlecht. Eine Studie der Universität Bielefeld hat ergeben, dass über die Hälfte der Deutschen Probleme damit hat, gesundheitsrelevante Informationen zu suchen, richtig zu verstehen und zu verwen­den. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt die Public-Health-Expertin Gudrun Faller, Professorin an der Hochschule für Gesundheit Bochum, warum das ein Problem ist und wie Ärzte die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten steigern können.

Fünf Fragen an Gudrun Faller, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Public Health.

DÄ: Frau Professor Faller, warum ist es ein Problem, wenn über die Hälfte der Deutschen eine schlechte Gesundheitskompetenz hat?
Gudrun Faller: Wir wissen aus vielen gesundheits­wissen­schaftlichen Studien, dass Gesundheits­kompe­tenz sehr eng mit gesundheitsbezogenen Ergebnissen einhergeht. Menschen mit geringer Gesundheitskompe­tenz weisen beispielsweise höhere Raten an stationä­ren Aufenthalten, häufigere Noteinsätze, eine geringere In­anspruchnahme von Früherkennungen, eine geringe­re Compliance bis hin zu höherer Mortalität auf. Es ist eine ethische Herausforderung, diese gravierenden Folgen gesellschaftlicher und sozia­ler Separationsprozesse zu kom­pen­sie­ren und deren Ursachen zu bekämpfen. Wir leben in einer Zeit, in der es ange­sichts ei­ner verwirrenden Vielfalt von Informationen, Produkten, Dienstleistungen und Interessen­lagen zunehmend wichtig ist, ein kritisches und auf belastbaren Informationen basieren­des Wissen zu entwickeln. Nur so können Patienten die richtigen Entscheidun­gen treffen und die zunehmend geforderte Selbstverantwortung übernehmen.

DÄ: Bundesgesundheitsminister Gröhe hat ein Gesundheitsportal im Internet gefordert, auf dem verlässliche Gesundheitsinformationen zusammengefasst sind. Kann ein solches Portal bei der Lösung des Problems helfen?
Faller: Ein Portal für vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen aufzubauen, ist in jedem Fall begrüßenswert und eine richtige Maßnahme, um einen Gegenpol zu der un­übersehbaren Menge an kaum kontrollierbaren, teilweise falschen und oftmals schäd­li­chen Gesundheitsinformationen im Internet zu bilden. Dem Problem der problemati­schen oder sogar inadäquaten Gesundheitskompetenz kann damit aber kaum begegnet wer­den. Denn um die Informationen auf diesem oder einem vergleichbaren Gesund­heits­­portal finden, verstehen, bewerten und in konkretes Verhalten übertragen zu kön­nen, ist eben das die Voraussetzung, was eigentlich aufgebaut werden soll – Gesund­heitskom­pe­tenz.

DÄ: Wie schädlich sind aus Ihrer Sicht im Internet auffindbare unseriöse Gesund­heits­informationen für das Ausbilden einer Gesundheitskompetenz?
Faller: Viele Menschen informieren sich aktiv über Gesundheitsthemen – zunehmend auch über das Internet. Auf der einen Seite ist das eine Chance wegen der leichten Ver­fügbarkeit von Gesundheitsinformationen, gleichzeitig aber auch ein Risiko, weil das  Internet keine „Qualitätsfilter“ kennt. Gerade für Nutzer mit geringer Gesundheits­kom­pe­tenz ist es oft schwierig, qualitativ schlechte von guten und evidenzbasierten Infor­ma­tionen, und Produktwerbung von neutraler Information zu unterscheiden.

Ein privater Versicherungskonzern hat in den Jahren 2013 und 2014 hundert ausge­wählte Webseiten mit Gesundheitsinformationen ausgewertet. Obwohl Werbeseiten von der Suche ausgeschlossen waren, ist das Ergebnis alarmierend: Durchschnittlich wurde die Qualität der untersuchten Informationen nur mit der Note „ausreichend“ bewertet. Keine Webseite konnte die Bestnote „sehr gut“ erreichen und nur neun Seiten wurden mit „gut“ bewertet. Besonders die inhaltliche Qualität war ein Grund für negative Bewer­tungen. Dabei – und das hat dieselbe Untersuchung gezeigt – ist das internetbezogene Suchvolumen zu Gesundheitsinformationen in Deutschland sehr ausgeprägt.

Wie aktuelle Diskussionen zeigen, haben wir im Internet zunehmend mit dem Problem der „Fake-News“ zu kämpfen. Das sind gezielt im Netz veröffentlichte Falschmeldungen und Fehlinformationen, die es im Bereich der Gesundheitsinformationen schon länger gibt. Zusätzlich zu den gesundheitlichen Direkteffekten ist ein genereller Vertrauensver­lust gegenüber jeder Art von Information die Folge, der dann seriösen Informationen gleichermaßen entgegengebracht wird.

Schäden kann Gesundheitskommunikation im Internet schließlich dadurch anrichten, dass sie durch diskriminierende Botschaften, skandalisierende Berichterstattung oder unzureichende Ausrichtung auf relevante Zielgruppen negative Effekte erzeugt. Bei­spiels­weise vermitteln manche Informationen den Eindruck, Gesundheit sei ausschließ­lich das Ergebnis individuell richtigen Verhaltens. Menschen werden dann für Ihre Er­krankung als allein verantwortlich deklariert und stigmatisiert. Dies gilt besonders für sozial und gesundheitlich benachteiligte Personengruppen.

DÄ: Wenn ein Gesundheitsportal im Internet nicht ausreicht: Was kann man stattdessen tun?
Faller: Aus der gesundheitswissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass primär auf der Informationsebene oder am Verhalten ansetzende Interventionen meist gerade an denjenigen vorbeigehen, die diese am dringendsten benötigen: Menschen in benachtei­lig­ten Lebenslagen, mit einem geringen Bildungsstatus, prekärer Einkommens- und Vermögenslage oder einem niedrigen gesellschaftlichen Status. Häufig weisen auch Menschen mit Migrationshintergrund eine geringe Gesundheitskompetenz auf. Typisch mittelschichtsorientierte Bewältigungsstrategien, wie sich zu informieren, Gesundheits­leistungen und Präventionsangebote in Anspruch zu nehmen oder das eigene Verhalten zu ändern, sind oft nur schwer möglich.

Forschungsergebnisse zur Gesundheitsförderung benachteiligter Zielgruppen zeigen, dass Fortschritte am besten dann erreicht werden können, wenn Maßnahmen in den alltäglichen Lebenswelten der Betroffenen verankert sind und entsprechende Ansätze inhaltlich, formell und sprachlich an den kulturellen, geschlechts- und altersspezifischen Gegebenheiten anknüpfen. Generell müssten gesundheitsbezogene Berichterstattung, Vermarktung und Werbung von einer Ethik der sozialen Verantwortung, Transparenz und Rechenschaftslegung geprägt sein. Die Massenmedien sollten beispielsweise mit Pa­tienten und Verbrauchern zusammenarbeiten, um die Zugänglichkeit, Verständlichkeit und Qualität von Gesundheitsinformationen zu verbessern.  

DÄ: Was können Ärzte tun, um die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten zu ver­bes­sern?
Faller: Ärzte haben im Vergleich zu benachteiligten Patienten meist einen soziokulturell völlig verschiedenen Erfahrungs- und Sozialisationshintergrund, der von anderen Wer­ten und Normen geprägt ist und die Verständigung erschwert. Es ist daher wichtig, sich diese Differenzen im Kontakt mit Patienten immer wieder in Erinnerung zu rufen, um nicht Kommunikationsstandards zu erwarten, die die Patienten nicht kennen und nicht erfüllen können. Rein an das Verhalten appellierende Hinweise sind deshalb meist nicht ausrei­chend.

Ärzte sollten in der Lage sein, Begriffe und medizinische Zusammenhänge in einer Spra­che zu erklären, die Patienten verstehen. Im Hinblick auf die Nutzung von Gesund­heitsin­formationen aus dem Internet können Ärzte eine wichtige Lotsen- und Qualitäts­siche­rungs­funktion übernehmen. Es ist kein Misstrauensvotum gegenüber den ärzt­lichen Empfehlungen, wenn Patienten elektronische und weitere Quellen nutzen. Viel­mehr wäre es wünschenswert, dass Ärzte diese Patientenaktivitäten aufgreifen und sie qualitäts­orientiert leitend in die Beratung einbeziehen.

Wichtig ist ferner, dass sich Ärzte nicht nur auf die Symptomatik oder die Erkrankung ihrer Patienten fokussieren, sondern diese im Kontext der Gesamtsituation von Betrof­fenen erfassen, ihre Alltagsbedingungen erfragen und prüfen, ob Patienten Anweisun­gen überhaupt umsetzen können und gegebenenfalls an weitergehende Hilfsangebote vermitteln. Gerade gegenüber vulnerablen Zielgruppen ist es notwendig, sensibel vor­zugehen und Vertrauen auf- und Schwellen abzubauen, damit Patienten den Mut ent­wickeln, ihre Fragen und Unsicherheiten zu formulieren. Die Ebene der nonverbalen Kommunikation spielt hier eine wichtige Rolle, beispielsweise indem man Gespräche auf einer Augenhöhe führt und auf distanzfördernde Statusindikatoren verzichtet. © fos/aerzteblatt.de

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