Vermischtes
Prozess um HIV-Infektion: Mann muss 71.000 Euro bezahlen
Mittwoch, 8. Februar 2017
München – Ein Mann, der seine ehemalige Partnerin mit dem Aids-Erreger HIV angesteckt hat, muss ihr 71.000 Euro Schmerzensgeld plus Zinsen bezahlen. Das hat das Oberlandesgericht München heute entschieden. Er muss außerdem ihre Anwaltskosten übernehmen und für eventuelle materielle und immaterielle Schäden, die der Frau künftig entstehen, zu zwei Dritteln aufkommen. Die heute 60-Jährige hatte in dem Zivilprozess 160.000 Euro Schmerzensgeld verlangt.
Sie hatte den Mann 2012 kennengelernt und nach eigenen Angaben vor dem ersten Sex einen Aidstest verlangt, weil seine frühere Lebensgefährtin an Immunschwäche gestorben war. Er habe allerdings entgegen der Absprache nur einen allgemeinen Gesundheitscheck und keinen Aidstest gemacht und ihr gesagt, bei ihm sei alles in Ordnung. Daraufhin schlief die Klägerin im Juli 2012 zum ersten Mal mit dem Mann. Einige Monate später stand fest, dass auch sie HIV-positiv ist.
„Im Grunde genommen hat die Person, die von einer HIV-Infektion Kenntnis hat, eine Aufklärungs- und Offenbarungspflicht“, erläuterte der Berliner Anwalt für Medizinrecht, Volker Loeschner. „Das liegt daran, dass HIV durchaus tödlich verlaufen und somit eine gefährliche Körperverletzung oder sogar eine Körperverletzung mit Todesfolge vorliegen kann. Der Mann hat dann möglicherweise seine Sorgfalts- und – so komisch das in diesem Zusammenhang klingen mag – Verkehrssicherungspflicht verletzt.“
Diese Pflicht bedeute in dem Fall „das, was jedem einleuchtet, was man machen muss, um Gefahren klein zu halten“. Jeder könne selbstverständlich selbst entscheiden, ob er einen HIV-Test machen wolle oder nicht, betonte Loeschner, der Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein ist. Aber er dürfe eine Frau nicht täuschen.
Das Gericht befasste sich auch mit der Frage, wann die Ansteckung mit dem HI-Virus stattgefunden hat. Nach Ansicht eines sachverständigen Arztes geschah das wahrscheinlich nicht gleich beim ersten Geschlechtsverkehr, sondern zu einem späteren Zeitpunkt. Der Zeitpunkt war aus Sicht des Gerichts wichtig, weil es die Möglichkeit gibt, dass die Klägerin zu dem Zeitpunkt schon Zweifel an dem fälschlich behaupteten Aidstest gehabt haben könnte. In dem Fall könne eine „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ der Frau nicht ausgeschlossen werden. So fällt das Schmerzensgeld auch deutlich geringer aus als in erster Instanz am Landgericht München, das der Klägerin 110.000 Euro zusprach.
Der Beklagte hat im Übrigen seine eigenen Ansichten zu dem Fall: Selbst seine Anwältin entschuldigte sich bei den Prozessbeteiligten dafür, dass sie im Auftrag ihres abwesenden Mandanten die Expertise einer Ärztin vorlesen musste, in der es hieß, das HI-Virus gebe es überhaupt nicht und die Immunschwächekrankheit Aids habe damit rein gar nichts zu tun. Der Anwalt der Frau bezeichnete die Ausführungen der Ärztin als „weiteren Schlag ins Gesicht“ seiner Mandantin.
Nach der jüngsten Schätzung des Robert-Koch-Instituts lebten Ende 2015 rund 84.700 HIV-Infizierte in Deutschland, darunter etwa 11.600 in Bayern: 9.400 Männer und 2.200 Frauen. Nach Angaben von Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) infizieren sich im Freistaat pro Jahr rund 400 Menschen neu mit dem HI-Virus. In der Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen sei das Infektionsrisiko groß. In München war die Zahl der Neuinfizierten mit 230 im Jahr 2015 besonders hoch. Zum Vergleich: In Köln lag sie bei 121, in Frankfurt am Main bei 116 und in Hamburg bei 217.
Der Fall ist nicht das erste Mal, dass eine HIV-Infektion die Justiz beschäftigt. Seit 1987 gab es nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe 50 Strafrechtsprozesse, von denen zwei noch nicht abgeschlossen sind. Zivilprozesse wie dieser kämen seltener vor. Die Aids-Hilfe weiß nach Angaben ihres Sprechers Holger Wicht von dreien. Die Deutsche Aids-Hilfe lehnt die Strafbarkeit der HIV-Übertragung ab. Sie bürde, so die Begründung, Menschen mit HIV einseitig die Verantwortung auf. Jeder Mensch könne und müsse selbst für Schutz sorgen. © dpa/aerzteblatt.de

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