Politik
Versorgungsangebote für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unzureichend
Mittwoch, 22. März 2017
Berlin – Sie sind besonders häufig von psychischer Traumatisierung betroffen: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, für die die Angebote an psychosozialer und therapeutischer Versorgung vor allem in ländlichen Regionen kaum ausreichen. Dabei wird mit einem ansteigenden Bedarf gerechnet. Das geht unter anderem aus dem „Bericht über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in Deutschland (UMA)“ hervor, den die Bundesregierung vorgelegt hat (Drucksache 18/11540).
Bundesweit waren am 30. Dezember 2016 genau 49.786 unbegleitete Minderjährige in der Obhut der Kinder- und Jugendhilfe, die für deren Versorgung zuständig ist. Die Kinder- und Jugendhilfe bildet mit dem Sozialgesetzbuch (SGB) VIII den Rahmen zur Gewährleistung von Kindeswohl und einer Chance auf gelingende Integration. 92 Prozent der UMA sind dem Bericht zufolge zwischen 14 und 17 Jahre alt und mehr als 90 Prozent männlich. Mitte 2016 kamen die meisten UMA, für die ein Asylantrag gestellt wurde, aus Afghanistan, Syrien und dem Irak.
Die Gründe, warum Kinder und Jugendliche aus ihren Heimatländern fliehen, sind dem Regierungsbericht zufolge die gleichen wie bei Erwachsenen: Kriegszustände, politische und religiöse Verfolgung, systematische physische oder psychische Gewaltanwendung sowie Perspektivlosigkeit aufgrund prekärer wirtschaftlicher Lage. Daneben gibt es kinderspezifische Fluchtgründe: Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, Genitalverstümmelung, familiäre Gewalt, Kinderprostitution oder Zwangsverheiratung.
Keine belastbaren Daten zum Gesundheitszustand der jungen Flüchtlinge
Es gibt keine für Deutschland repräsentative Untersuchung zur Verbreitung und Häufigkeit körperlicher und psychischer Erkrankungen bei UMA, sondern nur Schätzungen. Darauf weist die Bundesregierung zunächst ausdrücklich hin. Der Gesundheitszustand bei der Mehrzahl der UMA ist gekennzeichnet durch die oftmals sehr lange und körperlich extrem belastende Flucht. Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit hängen in der Regel mit traumatischen Erfahrungen der UMA zusammen.
Für die körperliche Gesundheitssituation zeigen die vorhandenen Daten vor allem zahnmedizinischen Versorgungsbedarf und Bedarf an der Behandlung von Kriegsverletzungen. Darüber hinaus wird zunächst der Impfstatus gesichert, der meist nicht dokumentiert ist. Grundsätzlich sind die Zugänge zur medizinischen Versorgung gegeben, die Bedürfnisse gehen jedoch zum Teil über die Grundversorgung hinaus.
In besonderem Maße von seelischer Traumatisierung betroffen
Für die psychische Gesundheitssituation geht die Bundesregierung davon aus, dass viele unbegleitete Minderjährige in besonderem Maße von seelischer Traumatisierung betroffen sind. Vermutlich leiden sie häufig unter sequenziellen Traumatisierungen, da sie mehrere aufeinanderfolgende traumatisierende Erfahrungen verarbeiten müssen.
Unterschieden wird dabei zwischen prämigratorischen Ereignissen (zum Beispiel Kriegserlebnisse), fluchtspezifischen Erfahrungen (angstauslösende Faktoren auf der Flucht) und postmigratorischen Faktoren (Diskriminierung, unklarer Aufenthaltsstatus und unsichere Zukunftsperspektive).
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Die Schätzungen zur Prävalenz von traumatisierten UMA anhand der Länderabfragen schwanken zwischen acht und 50 Prozent, sodass „belastbare Aussagen nicht möglich sind“, heißt es in dem Bericht. Auch die Fachverbände liefern demnach keine belastbaren Zahlen, gehen aber tendenziell eher von einer hohen Zahl aus.
Traumatische Erfahrungen werden insgesamt häufiger von unbegleiteten Minderjährigen gemeldet als von begleiteten Geflüchteten. Die Fachverbände weisen indes darauf hin, dass Traumata nicht gleich zu Beginn der Inobhutnahme durch die Kinder- und Jugendhilfe erkannt, sondern erst später deutlich werden. Die häufigste psychiatrische Auffälligkeit ist die posttraumatische Stressstörung beziehungsweise posttraumatische Belastungsstörung.
Versorgungsangebote reichen nicht aus
Die Angebote der psychosozialen Versorgung beziehungsweise Psychotherapie für traumatisierte UMA reichen dem Regierungsbericht zufolge in sieben Bundesländern nicht aus. Vor allem in ländlichen Regionen müssten Angebote weiter ausgebaut werden, auch weil von einem ansteigenden Bedarf ausgegangen wird. Vor allem an muttersprachlichen Psychotherapeuten herrscht demnach Mangel; die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind im ambulanten wie im stationären Bereich lang.
Die Bundesregierung weist schließlich darauf hin, dass es einen großen Bedarf an Dolmetschern beziehungsweise Sprach- und Kulturmittlern gibt, um den jungen Flüchtlingen psychosoziale und therapeutische Versorgung aber auch soziokulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Vor allem für Regionalsprachen, beispielsweise arabische Dialekte, stehen UMA oftmals keine Dolmetscher zur Verfügung, während es für hocharabisch und englisch ausreichende gibt. Darüber hinaus bestehen häufig Problem bei der Kostenübernahme der Leistungen.
Anlass für den 111 Seiten umfassenden Bericht ist das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“, das am 1. November 2015 in Kraft getreten ist. Im Zuge dessen wurde die Bundesregierung verpflichtet, dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über die Situation der UMA vorzulegen. Der Bericht wertet alle amtlichen Daten sowie Kleine und Große Anfragen im Bundestag zu dem Themenkomplex aus und lässt den aktuellen Forschungsstand einfließen. © PB/aerzteblatt.de

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