Politik
Psychotherapie: KBV will gegen Vergütung für neue Leistungen klagen
Donnerstag, 30. März 2017
Berlin – Als „Schlag ins Gesicht der Psychotherapeuten und der Versicherten“ bezeichnete der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, heute in einer Pressekonferenz die Entscheidung des Erweiterten Bewertungsausschusses, die neuen Leistungen in der ambulanten Psychotherapie, die Sprechstunde und die Akutbehandlung niedriger als die Richtlinien-Psychotherapie zu bewerten. „Wir werden gegen den Beschluss klagen“, kündigte Gassen an, „und rechnen uns dabei gute Chancen aus, weil wir die Rechtsprechung auf unserer Seite haben“.
Auf der Sitzung des Bewertungsausschusses am 29. März konnten sich KBV und GKV-Spitzenverband nicht auf die Honorierung der neuen niedrigschwelligen Angebote in der reformierten Psychotherapie, die die Versorgung der Patienten verbessern und die Wartezeiten auf ein Erstgespräch verringern sollen, einigen.
Die KBV hatte gefordert, die Psychotherapeutische Sprechstunde und die Akutbehandlung höher zu bewerten als die Richtlinien-Psychotherapie (RP). Gleichzeitig sollten nach Vorstellung der KBV die probatorischen Sitzungen genauso hoch wie die RP bewertet werden. Hierfür kämpfen auch Psychotherapeutenverbände seit Langem. Der GKV-Spitzenverband hingegen hält die Sprechstunde und die Akutbehandlung für weniger aufwendig als die RP und forderte eine niedrigere Bewertung. Die Probatorik sollte nach Vorstellung der Kassen abgewertet werden, höchstens aber auf status quo bleiben.
42,75 Euro für 25 Minuten Erstgespräch und Akutbehandlung
Gegen die Stimmen der KBV beschloss der am selben Tag einberufene Erweiterte Bewertungsausschuss, der unter dem Vorsitz von Gesundheitsökonom Jürgen Wasem zwei weitere unabhängige Mitglieder hat, folgendes: Psychotherapeutische Sprechstunde und Akutbehandlung, für die jeweils 25 Minuten vorgesehen sind, werden mit 42,75 Euro honoriert. Zum Vergleich: 25 Minuten Richtlinien-Psychotherapie bringen 44,28 Euro ein. Zusätzlich soll bei gut ausgelasteten Praxen (voller Versorgungsauftrag, mehr als hälftig ausgelastet mit veranschlagten 36 reinen Psychotherapiestunden) ein sogenannter Strukturzuschlag von 7,27 Euro (7,53 Euro in der RP) auch für Sprechstunde und Akutbehandlung gezahlt werden. Für die probatorischen Sitzungen wurde keine Anpassung der Bewertung vorgenommen.
Da die Bewertung der neuen Leistungen so kurzfristig beschlossen wurde, „können wir die Neustrukturierung der psychotherapeutischen Gebührenordnungspositionen erst ab 1. Juli ermöglichen“, erklärte Ulrich Casser, Leiter des Honorardezernats der KBV. Zunächst werden nur zwingend notwendige Änderungen erfolgen, wie die Aufnahme von Sprechstunde und Akutbehandlung in den EBM sowie die Anpassung von Leistungsbeschreibungen und Abrechnungsbestimmungen im EBM an die geänderte Psychotherapie-Richtlinie.
Einrichtung von Sprechstunden ist für Psychotherapeuten sehr aufwendig
„Die vollkommene Realitätsferne der Krankenkassen, die keinerlei Anreiz setzen“, beklagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, Stephan Hofmeister. Die Einrichtung von Sprechstunden sei für Psychotherapeuten sehr aufwendig. Sie müssten beispielsweise Personal anstellen und ein Vorzimmer einrichten – das brauchten Psychotherapeuten bisher nicht.
„Ich habe als Hausarzt erlebt, dass sich psychische Krisen verstetigen können, wenn Patienten zu lange auf das Erstgespräch für eine Therapie warten müssen“, betonte Hofmeister. Das könne man mit den neuen psychotherapeutischen Sprechstunden eher verhindern. „Nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses ist davon auszugehen, dass die Psychotherapeuten keine große Motivation haben werden, mehr Sprechstundenzeit anzubieten als vorgeschrieben“, befürchtet der KBV-Vize.
Der GKV-Spitzenverband bezifferte die Höhe der gestern beschlossenen Vergütungen der psychotherapeutischen Sprechstunden und der Akutbehandlung sowie weiterer Neuregelungen auf zusätzliche Einnahmen der Psychotherapeuten von circa 100 Millionen Euro. Mit den neuen Leistungen und der zusätzlichen Vergütung hätten es die Psychotherapeuten in der Hand, die Versorgung der Patienten ganz praktisch zu verbessern, erklärte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes. „Bei durchschnittlich 23 durchgeführten Therapiestunden pro Psychotherapeut pro Woche ist noch Luft nach oben. Es ist bedauerlich, dass die KBV reflexhaft über zu wenig Geld jammert, nur weil die Beitragszahler über ihr nicht das Füllhorn ausschütten“, sagte er.
Anreizwirkung für eine notwendige Veränderung fehlt
„Mit diesem Sparprogram der Krankenkassen ist die aufwendige Umstellung der Organisation psychotherapeutischer Praxen nicht zu finanzieren“, erklären hingegen die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung, der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten und die Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in einer gemeinsamen Stellungnahme. Es fehle damit jede Anreizwirkung für eine notwendige Veränderung.
„Geradezu abwegig ist die Bewertung der neuen Akutbehandlung, mit der dringend behandlungsbedürftige Patienten zum Beispiel vor einer Krankenhauseinweisung bewahrt werden sollen“, kritisierte der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) Dietrich Munz. Für diese intensivtherapeutischen Interventionen müssten außerdem zusätzliche Stunden über die wöchentliche Behandlungszeit hinaus geleistet werden. „Auch dieser Überstundencharakter der Akutbehandlung hätte es verlangt, diese besser als die normale Behandlungsstunde zu vergüten“, so Munz. „Diese erneute Unterbezahlung ist nicht mehr akzeptabel, da die psychotherapeutischen Honorare bereits jetzt weit unter den ärztlichen Honoraren liegen und jährlich weiter zurückfallen“, kritisiert der BPtK-Präsident.
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Als „skandalös“ bezeichnete der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, Walter Plassmann, den Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses. Er wies darauf hin, dass die Krankenkassen die neuen Regelungen nicht zuletzt deshalb durchgesetzt hätten, um Einsparungen im Kostenerstattungssystem zu erzielen. „Es wäre das Mindeste gewesen, diese Einsparungen weiterzugeben.“ Stattdessen werde diese Entscheidung eine neue Klagewelle mit entsprechender Unsicherheit zur Folge haben. Die KV Hamburg werde die Psychotherapeuten in ihrem Kampf um ein angemessenes Honorar weiter unterstützen.
Die ab 1. April geltende umfassende Strukturreform der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung sieht vor, dass ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten künftig in einer Sprechstunde abklären, ob eine psychische Erkrankung vorliegt und der Patient eine Psychotherapie benötigt oder ob ihm mit anderen Unterstützungsangeboten geholfen werden kann. Für die Sprechstunde müssen Therapeuten bei vollem Versorgungsauftrag mindestens 100 Minuten pro Woche für eine Sprechstunde (offen oder mit Terminvergabe) zur Verfügung stellen.
Ein weiteres Element der Strukturreform ist die Akutbehandlung, die Patienten in einer psychischen Krise den Zugang zum Psychotherapeuten ermöglicht ohne Genehmigungsverfahren über die Krankenkasse, sondern nur mit Anzeigepflicht. Des Weiteren wurde ermöglicht, dass Stunden einer Langzeittherapie zum Therapieende zur Rezidivprophylaxe genutzt werden können, um Rückfälle zu vermeiden. Darüber hinaus muss jede Praxis vier Stunden pro Woche telefonisch erreichbar sein, um Termine zu koordinieren. Diese Zeiten müssen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mitgeteilt werden.
Terminservicestellen vermitteln nicht an Wunschpsychotherapeuten
Termine für psychotherapeutische Sprechstunden und Akutbehandlungen vermitteln ab 1. April auch die Terminservicestellen der KVen, teilt die KBV weiter mit. Patienten benötigten dafür keine Überweisung. Probatorische Sitzungen, die nach der Strukturreform erst nach Gesprächen im Rahmen der Sprechstunde in Anspruch genommen werden können, sowie Kurz- und Langzeittherapien sind von der Terminvermittlung ausgenommen.
Die Termine zu einer Akutbehandlung können dann vermittelt werden, wenn die Behandlung im Rahmen einer psychotherapeutischen Sprechstunde empfohlen wurde. Die Patienten erhalten einen Termin innerhalb von vier Wochen, „nicht jedoch bei ihrem Wunschtherapeuten“, stellte KBV-Chef Gassen klar. Die Servicestelle muss einen Therapeuten vermitteln, der mit einer maximalen Fahrzeit von 30 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Ist dies nicht möglich, wird ein Termin in einer stationären Einrichtung vermittelt. © pb/aerzteblatt.de

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