Medizin
Virusinfektion des Darms könnte Auslöser der Zöliakie sein
Freitag, 7. April 2017
Chicago – Die Infektion mit einem harmlosen Darmvirus könnte die Ursache der Zöliakie sein. Die Reoviren verhindern laut einer Studie in Science (2017; doi: 10.1126/science.aah5298) vielleicht schon im ersten Lebensjahr die Entwicklung einer Immuntoleranz gegen Gluten-Eiweiße.
Die Glutene, die als Klebereiweiß die Backfähigkeit von Getreidemehlen bestimmen, gehören zu den vom Darm nur schwer verdaulichen Bestandteilen der Nahrung. Dies macht sie zu einem Problem für das Immunsystem. Um allergische oder autoimmune Reaktionen zu vermeiden, entwickelt der Darm im frühen Lebensalter eine Immuntoleranz.
Bei Menschen mit Zöliakie ist dieser natürliche Schutzmechanismus gestört, ohne dass die Gründe hierfür bisher bekannt waren. Die meisten Patienten erkranken bereits im Kindesalter an einer komplexen Immunerkrankung, die mit der Bildung von Auto-Antikörpern einhergeht und zu einer schweren Schädigung der Dünndarmschleimhaut führt. Ein Malabsorptionsyndrom hat dann unter Umständen schwere Entwicklungsstörungen der Kinder zur Folge.
Die Erkrankung tritt zwar überwiegend bei Menschen mit genetischer Prädisposition (HLA DQ2 oder DQ8) auf, es gibt jedoch eine klare Umweltkomponente. Sie zeigt sich beispielsweise daran, dass Kinder im finnischen Karelien mehr als zehnmal so häufig erkranken wie die Kinder im benachbarten russischen Karelien. Eine Reihe von Virusinfektionen (Adenovirus, Enterovirus, Hepatitis C Virus und Rotavirus) wurden in der Vergangenheit als Auslöser diskutiert, die Mechanismen waren jedoch nicht bekannt.
Experimente, die ein Team um Bana Jabri von der Universität Chicago durchgeführt hat, liefern jetzt neue Einsichten. Die Forscher experimentieren mit Reoviren. Es handelt sich um eine größere Familie von Viren, von denen einige Arten, etwa das Reovirus TIL („type 1 Lang“) den Darm infizieren (ohne dass es zu einer akuten Erkrankung kommt), andere wie T3D (type 3 Dearing) jedoch nicht. Jabri hat T3D genetisch so modifiziert, dass es wie TIL auch den Darm von Säugetieren infiziert.
Eine Infektion des Darms mit TIL blieb für Mäuse folgenlos, solange die Tiere nicht gleichzeitig mit Gliadin, einem der Glutene, exponiert wurden. Die Exposition mit Gliadin führte zu einem deutlichen Anstieg der Anti-Gliadin-Antikörper, die auch für die Zöliakie des Menschen kennzeichnend sind. Bei einer Infektion mit T3D traten diese Anti-Gliadin-Antikörper nicht auf.
Die Unterschiede konnten die Forscher auf eine verminderte Bildung von regulatorischen T-Zellen zurückführen. Diese Abwehrzellen sind für die Immuntoleranz verantwortlich, die bei gesunden Menschen den Verzehr von glutenhaltigen Nahrungsmitteln möglich macht. Bei Patienten mit Zöliakie fehlt diese Immuntoleranz. Die Forscher konnten weitere Schritte der Pathogenese klären, zu der eine vermehrte TH1-Aktivität gehört und eine verminderte Expression des Gens IRF1, das als Transkriptionsfaktor am Verlust der Immuntoleranz beteiligt sein soll.
Die Studie lässt vermuten, dass die Infektion mit einem TIL (oder auch anderen Viren) den Anstoß für die Entwicklung einer Zöliakie geben könnte. Besonders kritisch könnte die Phase sein, wenn die Kleinkinder nach dem Abstillen (oder der Beendigung der Flaschennahrung) zum ersten Mal feste Nahrung erhalten, die in westlichen Ländern häufig Getreideprodukte enthält. Wenn die Kinder zur gleichen Zeit mit einem Reovirus infiziert werden, könnte dies den Beginn einer pathologischen Immunreaktion markieren, deren Folgen sich erst Jahre später zeigen.
Ein weiteres Argument für diese Hypothese ist, dass Zöliakie-Patienten häufiger als gesunde Menschen Antikörper gegen Reoviren im Blut haben. Ein endgültiger Beweis steht jedoch noch aus. Am Ende könnte laut Jabri jedoch ein Impfstoff gegen Reoviren stehen, der Kinder vor einer Zöliakie schützt. © rme/aerzteblatt.de

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