Politik
Zweitmeinung kann Entscheidungsfindung von Arzt und Patient stören
Montag, 8. Mai 2017
Würzburg – Auf Probleme in Bezug auf die Zweitmeinung hat der Arbeitskreis „Ärzte und Juristen“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bei einem Treffen in Würzburg hingewiesen. Nach Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes haben gesetzlich versicherte Patienten seit Mitte 2015 vor ausgewählten geplanten Eingriffen Anspruch auf eine Zweitmeinung. Welche Eingriffe dies sind, ist allerdings noch unklar. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll dies in der zweiten Jahreshälfte entscheiden.
Besonders relevant ist das Thema Zweitmeinung laut Arbeitskreis in der Orthopädie mit seinen überwiegend geplanten Eingriffen, zum Beispiel dem künstlichen Gelenkersatz. „Dem Gesetzgeber ging es bei dem Rechtsanspruch auf eine Zweitmeinung weniger um den Patienten, sondern vorrangig darum, die nicht medizinisch begründete Indikationsausweitung zu begrenzen“, erläuterte Johannes Flechtenmacher, Präsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), auf dem Treffen. Eine Entscheidung für oder gegen den Gelenkersatz könnten aber nur Arzt und Patient gemeinsam treffen, das „Shared Decision Making“ sei also besonders wichtig.
Wir operieren keine Bilder. Johannes Flechtenmacher, BVOU-Präsident
Das Zweitmeinungsgesetz hingegen verfolge das Prinzip, dass allein der Experte entscheiden könne, was für einen Patienten die richtige Therapie sei, bemängelte der BVOU-Präsident. Flechtenmacher kritisierte daher Zweitmeinungen scharf, die ausschließlich auf Bildbefunden beruhten. „Viele Patienten weisen einen dramatischen Verschleiß am Hüftgelenk auf, haben aber überhaupt keine Beschwerden“, so Flechtenmacher. Ginge man nur nach dem Bild, müsste dieser Patient operiert werden. „Doch wir operieren keine Bilder“, betonte der BVOU-Präsident.
Laut dem AWMF-Arbeitskreis befürworten rund 90 Prozent der Patienten grundsätzlich eine Zweitmeinung. Im medizinischen Alltag sei das Interesse jedoch sehr viel geringer. Das zeige ein Modellprojekt der AOK Bayern. Gemeinsam mit der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) bietet die Krankenkasse ein digitales Zweitmeinungsverfahren an. AOK-Versicherte aus ganz Bayern mit einem Krebsbefund können ihre Werte und Bilder an Spezialisten in der Uniklinik schicken, damit diese die Aussage des ersten Arztes überprüfen. Obwohl es auch die AOK-Versicherten mit fast 90 Prozent für wichtig erachteten, eine zweite Meinung einzuholen, werde das Angebot nur wenig genutzt.
„Trotz aufwendiger Informations- und Kommunikationsmaßnahmen haben in den letzten drei Jahren nur 300 Versicherte von dem Angebot Gebrauch gemacht“, berichtete Peter Krase, Ressortleiter für das Leistungsmanagement der Kasse, auf dem Treffen. Dies sei „ein Indiz dafür, dass die allermeisten Patienten in Deutschland trotz des verbrieften Rechts auf eine Zweitmeinung in der Mehrzahl auf die Aussage des ihnen meist bekannten ersten Arztes vertrauen“, so das Fazit der AOK-Bayern.

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