Politik
Kritik an Drogenpolitik der Bundesregierung
Dienstag, 30. Mai 2017
Berlin – Eine „Gegenöffentlichkeit“ herstellen wollen die Herausgeber des Alternativen Drogen- und Suchtberichts 2017, der in diesem Jahr zum vierten Mal erscheint. In der Kritik ist dabei vor allem die Drogenpolitik der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU).
„Mortler legt ihre parteipolitischen Scheuklappen nicht ab – wir brauchen eine weniger ideologiebehaftete Drogenpolitik“, erklärte Heino Stöver, Vorstandsvorsitzender von akzept, Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, heute bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. Der Verband ist der Herausgeber des Alternativen Drogen- und Suchtberichts.
Roter Teppich für Hersteller
Stöver kritisierte zunächst, dass Deutschland das einzige Land in Europa sei, dass erlaube, für Alkohol und Zigaretten zu werben. Allein 330.000 Zigarettenautomaten gebe es in Deutschland. „Wir sind in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland und haben den Herstellern legaler Drogen den roten Teppich ausgerollt“, sagte der Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences.
Dabei gebe es jährlich 110.000 tabakbedingte vorzeitige Sterbefälle und 74.000 alkoholbedingte Sterbefälle. Als notwenige Präventionsmaßnahmen nannte Stöver massive Preiserhöhungen für beide Drogen sowie einen Zugang für Bier- und Weinprodukte erst ab 18 Jahren. „Die Bundesregierung tut hier seit Jahren nichts“, kritisierte der Suchtforscher.
Strafrecht für Kiffer und Werbung für Kippen
Die „Paradoxien der gegenwärtigen Drogenpolitik“ nahm Bernd Werse von der European Society für Social Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt in den Blick. „Wir haben ein Strafrecht für Kiffer und machen Werbung für Kippen.“ Das sei nicht verhältnismäßig. Die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) seien in diesem Jahr erneut um sieben Prozent gestiegen. „Die meisten Verstöße sind Bagatelldelikte, die eingestellt werden – das ist sinnlose Polizeiarbeit“, kritisierte der Sozialwissenschaftler. „Gleichzeitig bewirkt eine restriktive Verfolgung von BtMG-Verstößen keine niedrigeren Konsumraten: Bayern ist hier das beste Beispiel“, betonte Werse.
Forderung nach mehr Drogenkonsumräumen
Der Sozialarbeiter und Suchttherapeut Urs Köthner kritisierte, dass die Bundesdrogenbeauftragte „nichts tut“, um die Drogentodesfälle zu senken. In Deutschland sind im vergangenen Jahr 1.333 Menschen durch illegalen Drogenkonsum gestorben, hatte Mortler vor Kurzem mitgeteilt. Die Zahl der Drogentoten stieg damit bereits zum vierten Mal in Folge. „Wenn es nicht nur in sechs Bundesländern Drogenkonsumräume geben würde, müssten nicht so viele suchtkranke Menschen sterben“, sagte Köthner, der selbst einen solchen Konsumraum, den „Freiraum Hamburg“, führt. Todesfälle könnten seiner Ansicht nach auch vermieden werden, wenn es Möglichkeiten gäbe, Drogen legal auf ihre Inhaltsstoffe zu testen (Drug Checking).
Regulierung, nicht Legalisierung
Die Herausgeber des Alternativen Drogen- und Suchtberichts 2017 forderten schließlich, „eine Drogenpolitik, die den Reformstau angeht“ sowie „regulierte Drogenmärkte für Erwachsene“. Cannabis zum Freizeitgebrauch könnte nach ihren Vorstellungen in Fachgeschäften verkauft werden, ähnlich den holländischen Coffee-Shops. In Bezug auf andere illegale Drogen steckten die Überlegungen „noch in den Kinderschuhen“, erklärte Stöver. Wichtig war ihnen, zu betonen: „Wir sprechen von Regulierung, nicht von Legalisierung.“ © PB/aerzteblatt.de

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