Medizin
Nahrungsergänzungsmittel: Alle 24 Minuten ein Anruf beim US-Giftnotruf
Mittwoch, 26. Juli 2017
Columbus – In den USA registriert das National Poison Data System (NPDS) zunehmend Belastungen durch Nahrungsergänzungmittel, die nicht im Krankenhaus auftreten. Zwischen den Jahren 2005 und 2012 nahmen diese Fälle um fast 50 Prozent zu. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher vom Center for Injury Research and Policy und dem Central Ohio Poison Center in einer retrospektiven Studie, die im Journal of Medical Toxicology publiziert wurde (2017; doi: 10.1007/s13181-017-0623-7). Einen vergleichbaren Trend für Deutschland lassen zumindest die Daten des GGIZ (Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg‑Vorpommern, Sachsen, Sachsen‑Anhalt und Thüringen) nicht erkennen.
Zahlen und Fakten zum NPDS
Das NPDS sammelt seit 1983 in den USA Daten zu Vergiftungen. Mehr als 420.000 Stoffe wurden in dieser Zeit bereits erfasst, darunter auch Vergiftungen durch Nahrungsergänzungsmittel. Zwischen dem Jahr 2000 und 2012 dokumentierte das NPDS 274.998 Fälle, in denen eine Belastung durch Nahrungsergänzungsmittel berichtet wurde.
Berücksichtigte Nahrungsergänzungsmittel:
- Aminosäuren
- pflanzlich (Yohimbe, Ma huang, Citrus aurantium, Kava kava, Ginseng, usw.)
- kulturelle Medizin (Ayurveda, asiatische Mittel)
- Energydrinks (Red Bull und ähnliche koffeinhaltige Getränke)
- hormonhaltig (Melatonin, Androgen)
- Mischprodukte
- andere: Glukosamine, Blaualgen
Alle 24 Minuten erreichen die US-Informationszentralen für Vergiftungen einen Anruf aufgrund von Nahrungsergänzungsmitteln. Sie können in den USA für etwa 1,4 Prozent der gemeldeten Expositionen im NPDS verantwortlich gemacht werden. An erster Stelle stehen mit 44 Prozent Nahrungsergänzungsmittel mit verschiedenen Inhaltsstoffen, an zweiter Stelle stehen mit fast 32 Prozent pflanzliche und mit 15 Prozent hormonhaltige Produkte. Die meisten Anrufe beim Giftnotruf verursachen in den USA Schmerzmittel, Pflegeprodukte und Putzmittel, sagt Henry Spiller, Direktor am Central Ohio Poison Center des Nationwide Children’s Hospitals.
In 70 Prozent der Vergiftungsfälle mit Nahrunsgergänzungsmitteln handelt es sich um Kinder, die die Drogerieprodukte zu Hause versehentlich runterschlucken. Bei 4,5 Prozent hat die Vergiftung ernsthafte medizinische Konsequenzen – vor allem für jene, die älter als sechs Jahre sind. Zu den Produkten mit der toxischsten Wirkung zählen die Autoren Ma-huang (Ephedrakraut), Yohimbe und Energydrinks, die sowohl die körperliche Kraft als auch mentale Fähigkeiten verbessern sollen. Die Autoren sprechen sich daher für eine Verpackung aus, die Kinder vor allem vor Energydrinks und Yohimbe schützt. Zudem fordern sie die Food and Drug Administration (FDA) dazu auf, diese gesundheitsgefährdenden Inhaltsstoffe zu regulieren.
Nahrungsergänzungsmittel spielen im Vergiftungsgeschehen des GGIZ zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle. Dagmar Prasa, kommissarische Leiterin GGIZ, Erfurt
Zahlen und Fakten aus Deutschland zum Vergiftungsgeschehen
Zwar steigt in Deutschland die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln. Sie verursachen vermutlich aber weniger Anrufe beim Giftnotruf als in den USA. „Nahrungsergänzungsmittel spielen im Vergiftungsgeschehen des GGIZ zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle“, sagt die kommissarische Leiterin des GGIZ Dagmar Prasa dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). In den letzten zehn Jahren seien bei Expositionsfällen, die im GGIZ beraten wurden, 330 Nahrungsergänzungsmittel beteiligt gewesen. „Das entspricht einem Anteil von lediglich 0,16 Prozent aller im GGIZ in diesem Zeitraum registrierten Noxen“, erklärt Prasa und verweist auf die Statistik des Giftnotrufs aus den Jahren 2007 bis 2016. Den Hauptanteil unter den im GGIZ registrierten Nahrungsergänzungsmitteln bilden mit 66 Prozent die Mineral- und Vitaminpräparate, der Anteil der Pflanzenextrakte beträgt zehn Prozent.
Nahrungsergänzungsmittel: Deutsche setzten vor allem auf Magnesium
Frankfurt am Main – Im Jahr 2016 stieg die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) um 4,4 Prozent. Insgesamt erwarben Verbraucher somit 165 Millionen Packungen im Wert von 1,1 Milliarden Euro zum effektiven Verkaufspreis (plus sechs Prozent) – Supermärkte wie Aldi oder Lidl ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von QuintilesIMS. Das Unternehmen beobachtet mehr als eine
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilt mit, dass ihm im Zeitraum 2000 bis 2016 209 Vergiftungsfälle mit Nahrungsergänzungsmitteln gemeldet wurden. Das Spektrum der Produkte sei dabei weit gefächert: Die häufigsten Nennungen fallen auf Produkte zur Gewichtsreduktion, Multivitamin-Produkte und Präparate gegen Wechseljahresbeschwerden.
Diese Zahlen spiegeln jedoch nicht das nationale Vergiftungsgeschehen wider, da die meisten diesbezüglichen Fälle an die acht Giftinformationszentren Deutschlands gemeldet werden. Bisher würden diese Daten nicht zentral zusammengeführt, erklärt das BfR auf Anfrage des DÄ. Das soll sich jetzt mit dem Forschungsprojekt „Nationales Monitoring von Vergiftungen“ ändern. Dieses wird für bestimmte Produktgruppen von Sommer 2017 bis Sommer 2018 Fallberichte bei den Giftinformationszentren Deutschlands zusammengeführt und auswerten. Ein Teilprojekte umfasst die Gruppe der Nahrungsergänzungsmittel.
Yohimbin ist in Deutschland verschreibungspflichtig
Die stark von den USA abweichenden Zahlen erklärt sich die Apothekerin und Humantoxikologin auch durch unterschiedliche Kategorisierungen: „Yohimbe- und andere Präparate, die im Internet als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt werden, aber aufgrund ihrer Inhaltsstoffe eher in die Kategorie illegales Arzneimittel fallen, sind im GGIZ nicht als Nahrungsergänzungsmittel registriert.“ In den USA und Deutschland gelten für Yohimbinsäure und ihre Ester (Yohimbin) unterschiedliche Regeln. Das BfR zählt sie zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Sie werden zur Behandlung von sexuellen Dysfunktionen inklusive Erektionsproblemen eingesetzt. Die medizinische Wirkung ist jedoch nicht erwiesen. In kosmetischen Mitteln sind Yohimbin und seine Salze hierzulande verboten. Hingegen ist Yohimbe in den USA als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich.
zum Thema
- Abstract in Journal of Medical Toxicology 2017
- Fragen und Antworten zu Nahrungsergänzungsmitteln, BfR
- National Poison Data System
Deutsches Ärzteblatt print
aerzteblatt.de
Vor Ephedra-haltigen Produkten warnten Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) bereits im Jahr 2002. Das aus der chinesischen Medizin bekannte Kraut von Meerträubelgewächsen sei weder als Arzneimittel zugelassen noch dürfe es als Lebensmitteln vertrieben werden. Auch die FDA hat den Vetrieb Ephedra-haltiger Nahrungsergänzungsmittel im Jahr 2004 verboten. Ma-huang ist laut Spiller das einzige bereits von der FDA regulierte Mittel auf der Studienliste, das seinen Status als Nahrungsergänzungsmittel abgeben musste. © gie/aerzteblatt.de

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