Politik
Wahlarena: Krankenpfleger bringt Merkel in Nöte
Dienstag, 12. September 2017
Lübeck – In vielen Krankenhäusern und Altenheimen herrscht Pflegenotstand. Dennoch spielte das Thema bislang keine Rolle im Wahlkampf. Gestern Abend brachte es ein junger Krankenpflegeschüler erstmals auf den Punkt und damit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Nöte. Die Würde der Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in Deutschland werde „tagtäglich tausendfach verletzt“, erklärte Alexander Jorde. Es gebe Menschen, die stundenlang in ihren Ausscheidungen lägen.
Die Pfleger seien überlastet und für zu viele Patienten zuständig. Es gebe Schichten, bei denen 20 Patienten auf eine Pflegekraft kämen. „Sie sind seit zwölf Jahren an der Regierung und haben in meinen Augen nicht viel für die Pflege getan“, sagte er. Jorde wollte von Merkel wissen, wann eine Mindestpersonalquote eingeführt wird und wie Merkel dem Fachkräftemangel in der Pflege begegnen wolle.
Die CDU-Chefin blieb in ihrer Antwort vage. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, das sage ich ganz offen, dass zum Schluss alles nach bester Zufriedenheit ist“, sagte die Bundeskanzlerin. Standards sollten aber verbessert werden, Personaluntergrenzen für Altenheime und Krankenhäuser würden derzeit ausgehandelt. Merkel zeigte sich zuversichtlich, dass die Lage in zwei Jahren besser ist.
Sie stimmte Jordan aber auch zu, dass es in der Pflege großen Nachholbedarf beim Personal gibt. „Da haben wir einen riesigen Personalmangel. Das muss ich anerkennen und auch zugestehen“, sagte sie. Nun sei es an der Zeit, zu werben. Notfalls müsse man auch Pflegekräfte aus europäischen Ländern mit dazunehmen. „Wir müssen es vor allen Dingen auch hier zu einem attraktiven Beruf machen. Und das heißt in den Tarifverhandlungen muss auch besser bezahlt werden. Das ist eine der Hauptsachen“, erklärte sie weiter.
Demografie schlägt durch
Experten sind sich einig, dass in der Pflege, insbesondere bei der deutlich schlechter bezahlten Altenpflege, ein gravierender Fachkräftemangel droht. Zugleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen weiter an. 2015 waren knapp 2,9 Millionen Menschen pflegebedürftig; bis 2060 wird mit 4,7 Millionen gerechnet. Auch die Krankenhäuser verzeichnen schon jetzt mehr alte Patienten, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden.
In den vergangenen Jahren erwies sich die Pflege als Jobmotor: Die Zahl der in der Altenpflege Beschäftigten stieg zwischen 1999 und 2015 um über 60 Prozent auf deutlich mehr als eine Million. Doch schon heute fehlen dort 30.000 Pflegekräfte. Die Zahl der Krankenhausmitarbeiter im Pflegedienst ist von 393.186 im Jahr 2005 auf 426.838 im Jahr 2015 ebenfalls deutlich gestiegen. Auch dort gibt es bereits 10.000 Stellen, die nicht besetzt werden können.
„Der Arbeitsmarkt in der Altenpflege ist längst ein Bewerbermarkt geworden. Es dauert mittlerweile durchschnittlich über ein halbes Jahr, bis freigewordene Stellen neu besetzt werden können“, sagte Rainer Brüderle, derzeit Präsident des Arbeitgeberverbands im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Allerdings: Vor allem in der Altenpflege würden immer mehr Teilzeitkräfte beschäftigt. Vollzeitjobs dagegen gingen zurück.
Dringender Handlungsbedarf
Arbeitgeber und Interessenverbände der Pflegenden fordern dringend Maßnahmen, um die Pflegeberufe attraktiver zu machen. Viele Pflegekräfte klagen über niedrige Bezahlung, schwierige Arbeitsbedingunge, gesundheitliche Beeinträchtigungen und ein schlechtes Image ihres Berufs. Alle Reformen nutzten nichts, wenn es kein Personal gebe, argumentiert der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus. „Die Pflegenden stehen vor dem Kollaps“, sagte er.
Koalition verweist auf Gesetze
Nach Darstellung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat die große Koalition die Weichen gegen einen Personalnotstand in der Pflege gestellt. „Wir haben die Zahlung von Tariflöhnen in der Pflege gestärkt, unterstützen Pflegeeinrichtungen beim Bürokratieabbau und haben das Schulgeld in der Altenpflegeausbildung abgeschafft“, sagte der Minister heute dem Bonner General-Anzeiger.
Bei den Personaluntergrenzen tut sich der Politik zufolge etwas: Durch die Pflegereform zum 1. Januar 2017 mussten die Personalschlüssel in den Pflegeheimen überprüft werden; das hat laut Bundesgesundheitsministerium in bislang 11 Bundesländern zu Verbesserungen geführt. Bis 2020 muss darüber hinaus ein wissenschaftlich abgesichertes Verfahren entwickelt werden, mit dem bestimmt werden kann, wie viel Personal es in einem Pflegeheim geben muss.
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Gesetzliche Mindeststandards sollen auch in den Krankenhäusern kommen. Krankenkassen und die Träger der Krankenhäuser müssen für spezielle Bereiche wie beispielsweise Intensivstationen oder den Nachtdienst künftig verbindliche Personaluntergrenzen festlegen. Die Vereinbarung muss bis zum 30. Juni kommenden Jahres stehen und zum 1. Januar 2019 in Kraft treten. Sollte die Selbstverwaltung sich bis dahin nicht einigen, wird das Gesundheitsministerium von sich aus bis zum 31. Dezember 2018 eine Untergrenze festlegen. Zudem sollen die Krankenhäuser, die die Mindeststandards beim Personal unterschreiten, künftig öffentlich benannt werden und müssen mit wirtschaftlichen Sanktionen rechnen.
Kritik von der SPD
Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion forderte heute von der CDU klare Aussagen zu Personalstandards in der Pflege. „Die Beschlüsse in dieser Wahlperiode zur Verschärfung der Pflegemindestlöhne und zur Einrichtung von Personalmindeststandards sind gut“, erklärte Mattheis. „Wir dürfen uns aber auf Erreichtem nicht ausruhen, wie es die Kanzlerin gestern in der ARD-Wahlarena gemacht hat.“
Mattheis betonte, notwendig sei ein „umfassendes Personalbemessungssystem in allen Stationen in den Krankenhäusern bundesweit.“ „Als SPD haben wir bereits in dieser Wahlperiode ein solch umfassendes System angemahnt, aber die Union unter Bundesgesundheitsminister Gröhe hat weitere Schritte abgeblockt“, monierte Mattheis. „Während in Pflegeheimen ein Personalbemessungssystem erarbeitet wird, verweigert die Union ein solches System für Krankenhäuser. Dieser Kniefall vor den Klinikbetreibern geht zulasten der Pflegekräfte und der Patienten. Hier wollen wir als SPD nachsteuern.“
© kna/dpa/may/aerzteblatt.de
Krankenpflegeschüler
Seit 30 Jahren ist die Kranken- und Altenpflege weiblich besetzt, also ein Ausbeutungsberuf. Jetzt ist die Pflege männlich geworden - und plötzlich geht was? Na wenn's hlft!

Finazierung der Personaluntergrenzen
Also muss zu erst die Finanzierung der vorhanden Pflegekräfte und deren hoffentlich bald deutlich erhöhten Tariflöhne durchgesetzt werden.

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