Medizin
Übergewicht, Gewalt und psychische Erkrankungen: „Triad of Trouble“ gefährdet globale Gesundheit
Freitag, 15. September 2017
Seattle – Die Weltbevölkerung ist in der letzten Dekade insgesamt gesünder geworden, die Kindersterblichkeit ist weiter gesunken und die Lebenserwartung gestiegen. Doch Adipositas, Kriege,Terror und mentale Erkrankungen belasten zunehmend die Gesundheit. Das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), das im Lancet (2017; 390: 1084-1459) spricht anlässlich der jüngsten Auswertung der „Global Burden of Disease Study“ von einer Problemtrias („Triad of Trouble“).
Kindersterblichkeit stark zurückgegangen
Im letzten Jahr sind erstmals weltweit weniger als fünf Millionen Kinder vor dem Ende des fünften Lebensjahres gestorben. Im Jahr 1990 waren es – trotz geringerer Weltbevölkerung – noch elf Millionen gewesen. Die günstige Entwicklung ist nach Einschätzung des IHME auf ein erhöhtes Bildungsniveau von Müttern, das gestiegene Pro-Kopf-Einkommen, die verminderte Kinderzahl pro Familie und verstärkte Impfprogramme zurückzuführen.
Auch die Massenverteilung von imprägnierten Bettnetzen, eine verbesserte Wasser- und Abwasserentsorgung und eine breite Palette anderer Gesundheitsprojekte hatten einen Beitrag zur Verringerung der Kindersterblichkeit geleistet, schreibt IHME-Direktor Christopher Murray anlässlich der fast 400-seitigen Publikation im Lancet (2017; 390: 1084-1150), an der 2500 Forscher aus mehr als 130 Ländern mitgearbeitet haben sollen.
Bekämpfung der Infektionskrankheiten zeigt Wirkung
Auch die bessere medizinische Behandlung von Infektionskrankheiten – darunter vor allem untere Atemwegserkrankungen, Durchfallerkrankungen, HIV/Aids und Malaria – sowie die verminderte Sterblichkeit bei Frühgeburten haben laut IHME dazu geführt, dass immer mehr Menschen bis ins hohe Alter gesund bleiben: Die HALE („healthy life expectancy“) ist seit 1990 bei Männern um 6,04 Jahre und bei Frauen um 6,49 Jahre gestiegen. Für Männer über 65 gab es ein Plus um 1,78 Jahre und für Frauen über 65 ein Plus um 1,96 Jahre.
Die höchste HALE hat derzeit die Bevölkerung in Singapur mit 75,2 Jahren für Frauen und 72,0 Jahren für Männer. Am niedrigsten ist die HALE von Frauen in der Zentralafrikanischen Republik (45,6 Jahre) und von Männern in Lesotho (41,5 Jahre.)
Zahl der nicht-übertragbaren Erkrankungen angestiegen
Der krankheitsbedingte Verlust an gesunden Lebensjahren („disability-adjusted life year“, DALY) hat sich dagegen seit 1990 nicht verändert. Ein Rückgang von DALY durch übertragbare, mütterliche, neonatale und ernährungsphysiologische Erkrankungen (CMNN-Gruppe) wurden durch einen Anstieg von nicht-übertragbaren Erkrankungen (noncommunicable diseases, NCD) wieder ausgeglichen.
Normalerweise sind die Menschen in ärmeren Ländern kränker und ihre Lebenserwartung ist geringer. Doch es gibt Ausnahmen. In Äthiopien, den Malediven, Nepal, Niger, Portugal und Peru ist die Lebenserwartung laut IHME höher, als dies nach dem sozio-demografischen Index des Landes zu erwarten wäre (Lancet 2017; 390: 1260-344).
Nicht übertragbare Krankheiten waren 2016 für 72,3 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Auf die CMNN-Gruppe entfielen 19,3 Prozent der Todesfälle. Die restlichen 8,4 Prozent der Todesfälle gingen auf Verletzungen zurück.
Die zehn häufigsten Ursachen für einen vorzeitigen Tod (YLL, „years of life lost“) waren ischämische Herzerkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Erkrankungen der unteren Atemwege, Durchfallerkrankungen, Verkehrsunfälle, Malaria, Frühgeburten, HIV/Aids, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen und Hirnverletzungen durch Geburtskomplikationen.
Dabei gibt es regionale Unterschiede. In Afrika südlich der Sahara ist der Anteil der Todesfälle an Malaria und HIV/Aids überdurchschnittlich hoch, Diabetes mellitus ist in Ozeanien eine häufigere Todesursache, zwischenmenschliche Gewalt ein Problem in Lateinamerika und der Karibik. In Ost- und Mitteleuropa gibt es eine erhöhte Sterblichkeit an Kardiomyopathie und Myokarditis (Lancet 2017; 390: 1151-210).
Die wichtigsten chronischen Erkrankungen, die zu Behinderungen führen, waren Rückenschmerzen, Migräne, Hörverlust, Eisenmangel-Anämie und Major-Depressionen. Sie waren nach den Berechnungen von IHME für 57,6 Millionen, 45,1 Millionen, 36,3 Millionen 34,7 Millionen und 34,1 Millionen Lebensjahre mit Behinderungen („years lived with disability YLD) verantwortlich (Lancet 2017; 390: 1211–59).
zum Thema
- PDF zur Entwicklung der Kindersterblichkeit
- PDF zur Entwicklung der Lebenserwartung
- PDF zur weltweiten Verbreitung von 328 Erkrankungen
- PDF zur Verlust gesunder Lebensjahre auch 333 Erkrankungen
- PDF zum Einfluss der Risikofaktoren
- PDF zu den Entwicklungszielen
- Pressemitteilung der IHME
- Visualisierung der Ergebnisse
Auf der Ebene der Risikofaktoren sind Rauchen, Hypertonie und Ernährung die wichtigsten Krankheitsverursacher. Bei Männern entfallen auf das Rauchen 124,1 Million DALYs, auf einen zu hohen systolischen Blutdruck 122,2 Millionen DALYs, und durch Mangel- oder Frühgeburten gehen 83,0 Millionen DALYs verloren. Bei den Frauen sind ein zu hoher systolischer Blutdruck (89,9 Millionen DALY), ein zu hoher Body-Mass-Index (64,8 Millionen DALYs) und ein zu hoher Blutzucker (63,8 Millionen DALYs) die häufigsten Risikofaktoren (Lancet 2017; 390: 1345-422).
Zum Abschluss haben die IHME-Forscher noch untersucht, welche Länder die von den Vereinten Nationen 2016 ausgegebenen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) am ehesten erreichen. Gemessen an einem SDG-Index lagen Singapore (86,8 Punkte), Island (86,0 Punkte) und Schweden (85,6 Punkte) vorne. Die Schlusslichter bildeten Afghanistan (10,9 Punkte), die Zentralafrikanische Republik (11,0 Punkte) und Somalia (11,3 Punkte). Deutschland gehört zu den 18 Ländern, die mindestens zehn Entwicklungsziele erfüllt haben (Lancet 2017; 390: 1423-1459).
© rme/aerzteblatt.de

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