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Medizin

Usher-Syndrom: Gentherapie verhindert Taubheit und Gleichgewichts­störungen bei Mäusen

Montag, 25. September 2017

Paris – Mäuse mit dem Typ 1G des Usher-Syndroms können durch eine Gentherapie vor Taubheit und Gleichgewichtsstörungen bewahrt werden. Die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS 2017; 114: 9695–9700) vorgestellte Behandlung besteht aus einer einzelnen Injektion von modifizierten Adenoviren, die in den ersten Lebenstagen durch das runde Fenster im Mittelohr erfolgt. Bei einer guten Verträg­lichkeit könnten schon bald klinische Studie beginnen.

Das Usher-Syndrom ist eine Gruppe von erblichen Seh- und Hörstörungen, die durch Genmutationen in mindestens elf verschiedenen Genen ausgelöst werden. Beim Typ 1G ist das Protein SANS betroffen. SANS gehört zu den sogenannten Gerüstproteinen in den Stereozilien, den haarförmigen Fortsätzen der Haarzellen.

SANS wird für die Verankerung der sogenannten „Tip-Links“ in den Stereozilien benö­tigt. Die „Tip-Links“ sind als dünne Proteinfäden zwischen den Spitzen (tips) der Stereozilien gespannt. Sie sorgen für eine stufenweise Aufrichtung der Stereozilien, die auf Bewegungen der Perilymphe Nervensignale auslösen. Die „Tip-Links“ sind Voraussetzung für den Hörreiz und den Gleichgewichtssinn.

Ohne SANS lösen sich die „Tip-Links“ aus ihrer Verankerung in den Stereozilien. Die Anordnung der Stereozilien geht verloren und eine Übertragung der mechanischen Reize (Wellenbewegung in der Perilymphe) auf die Nervenzellen bleibt aus.  

Patienten mit Typ 1G des Usher-Syndroms sind von Geburt an taub. Da SANS auch in der Retina benötigt wird, kommt im bereits im Kindesalter eine Erblindung hinzu. Die verschiedenen Varianten des Usher-Syndroms sind die häufigste Ursache von erblicher Blind-Taubheit. Die einzige Behandlung besteht derzeit in der Versorgung mit einem Cochlea-Implantat, das wenigstens den Hörsinn teilweise wieder herstellt.

Eine Gentherapie könnte die betroffenen Kinder möglicherweise vor dem Ertauben schützen, wenn sie rechtzeitig erfolgt. Die Behandlung würde in der Injektion von modifizierten Adenoviren durch die Membran des runden Fensters vom Mittelohr aus erfolgen. Die Viren würden über die Perilymphe zu den Haarzellen gelangen, diese Zellen infizieren und dann das Gen für das Protein SANS in ihnen ablegen. Da Innenohr und Gleichgewichtsorgan verbunden sind, könnte die Behandlung auch den Gendefekt im Gleichgewichtsorgan reparieren.

Ein Team um Christine Petit und Saaid Safieddine vom Institut Pasteur in Paris hat die Möglichkeiten der Therapie jetzt an Mäusen untersucht. Zunächst mussten die Forscher eine Variante der Adenoviren finden, die die Haarzellen im Innenohr und im Gleichgewichtsorgan infizieren. Die besten Ergebnisse wurden mit dem Adenovirus AAV8 erzielt.

Bei weiteren Versuchen wurden dann dann AAV8 mit dem SANS-Gen beladen und durch das runde Fenster in die Perilymphe von Mäusen injiziert, die den Gendefekt vom Typ 1G des Usher-Syndroms hatten. Die Behandlung wurde an neugeborenen Tieren im Alter von zweieinhalb Tagen durchgeführt. Nach wenigen Tagen kam es zu einer Verbesserung der Schallempfindung in den tieferen Frequenzen, während es in den höheren Frequenzen keine Veränderung gab.

Die Forscher schließen daraus, dass die Viren nicht alle Bereiche der Hörschnecke erreicht haben. In den erreichten Zellen kam es jedoch zur Normalisierung eines Molekülkomplexes aus den Proteinen Cadherin 23, Protocadherin 15, Myosin VIIA und Harmonin, der für die Verankerung der Tip-Links benötigt wird.

Überraschenderweise erholte sich der Gleichgewichtssinn noch besser als der Hörsinn. Die Tests an den Mäusen deuten sogar auf einen vollständigen Erhalt der Funktion hin. Dies ist erstaunlich, weil die Perilymphräume von Innenohr und Gleichgewichtsorgan nur über eine kleine Öffnung miteinander verbunden sind.

Da die Therapie offenbar sicher ist, könnte schon bald mit klinischen Studien begonnen werden. Die Forscher wollen sich hierzu aber zunächst mit ihren Kollegen austauschen. Sie haben ein internationales Symposium organisiert, das bereits im November in Marrakesh stattfinden soll. Zu den wichtigen offenen Fragen gehört, wie groß das zeitliche Fenster der Erkrankung ist und ob die Erkrankung bei den betroffenen Kindern rechtzeitig diagnostiziert werden kann.

© rme/aerzteblatt.de

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