Medizin
E-Zigarette könnte selbst im Worst Case noch 1,6 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindern
Mittwoch, 11. Oktober 2017
München/Tübingen – Mindestens 1,6 Millionen vorzeitige Todesfälle könnten in den USA verhindert werden, wenn ein Großteil der Raucher auf den elektronischen Verdampfer umsteigen würde. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher vom Georgetown University Medical Center in einer Modelrechnung, wobei sie für die E-Zigarette die denkbar schlechtesten gesundheitlichen Eigenschaften berücksichtigt haben. Die Prognosen für den Worst Case aber auch den Best Case wurden in Tabacco Control (BMJ Journals) publiziert (2017; doi: 10.1136/tobaccocontrol-2017-053759).
Das optimistische Szenario geht davon aus, dass nur noch fünf Prozent der Bevölkerung raucht. Die übrigen Raucher haben es geschafft, innerhalb von zehn Jahren auf E-Zigaretten umzusteigen. Ein solches Szenario würde 6,6 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindern. Den größten Nutzen hätten junge Menschen. Sie würden durchschnittlich ein halbes Jahr länger leben.
Hingegen würden im pessimistische Szenario immer noch zehn Prozent der US-Bevölkerung weiterhin Zigaretten rauchen. Die Forscher gehen zudem davon aus, dass E-Zigaretten gesundheitsschädlicher sind als wissenschaftliche Daten bisher vermuten lassen. Im Worst Case hat die E-Zigarette auch mehr junge Menschen zum Rauchen und Dampfen verleitet als im optimistischen Szenario. Selbst unter diesen pessimistischen Voraussetzungen rechnen die Forscher noch damit, 1,6 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindern zu können.
Bei den Zahlen handelt es sich um eine theoretische Modelrechnung. Weil Langzeiterfahrungen noch fehlen, ist eine medizinische Bewertung des Konsums von E-Zigaretten bislang schwierig. Auch die Deutsche Suchtgesellschaft – Dachverband der Suchtfachgesellschaften (DSG) hat daher in einem Positionspapier den aktuellen Wissensstand zusammengefasst und in der Fachzeitschrift Suchttherapie publiziert (2017; doi: 10.1055/s-0043-113847).
Suchtexperten plädieren für Werbeverbot für E-Zigaretten
„Als per se unschädlich kann die E-Zigarette sicher nicht eingeschätzt werden“, sagt Tobias Rüther, Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum München und Erstautor des Beitrags. So enthält das Aerosol, der eingeatmete Dampf, neben Nikotin auch krebserzeugende und giftige Substanzen wie Formaldehyd oder Acetaldehyd. Nichtraucher – vor allem Jugendliche – sollten daher keinesfalls ermuntert werden, über E-Zigaretten mit dem Nikotinkonsum zu beginnen. Alle Regelungen zum Jugend- und Nichtraucherschutz für herkömmliche Tabakprodukte müssten daher auch uneingeschränkt für E-Zigaretten gelten. Das schließe auch Werbeverbote, das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und mögliche Preissteigerungen mit ein.
Wer bisher konventionell geraucht hat, kann daher vom Umstieg auf die E-Zigarette profitieren. Tobias Rüther, Universitätsklinikum München
Auf der anderen Seite ist das Inhalat aus E-Zigaretten deutlich weniger schädlich als Tabakrauch: Unterschiedliche Schätzungen verschiedener Experten schreiben dem Aerosol eine neun- bis 450-mal geringere Toxizität zu als dem Rauch aus herkömmlichen Zigaretten. „Wer bisher konventionell geraucht hat, kann daher vom Umstieg auf die E-Zigarette profitieren“, sagt Rüther. Studien hätten ergeben, dass Raucher, die komplett auf das Dampfen umsteigen, nach einem Jahr deutlich bessere Blutdruck- und Atemfunktionswerte aufwiesen. Auch die Lungenfunktion von Asthmatikern bessert sich ersten Untersuchungen zufolge durch den Umstieg. Bislang fehlen jedoch noch Daten zu den längerfristigen Gesundheitseffekten.
Potenzielle Chancen der E-Zigarette nicht voreilig abtun
Wie die Experten der DSG betonen, bleibe das eigentliche und in allen Leitlinien formulierte Ziel aber nicht der Umstieg aufs „Dampfen“, sondern der völlige Rauchverzicht. In Studien geben rund zwei Drittel der Raucher an, mit dem Rauchen aufhören zu wollen und dies auch schon mindestens einmal ernsthaft versucht zu haben. Gleichzeitig ist jedoch nur jeder zehnte zu einem Rauchstopp bereit.
Dazu trägt bei, dass viele Raucher sich durch die etablierten Entwöhnungshilfen wie Nikotinersatzpräparate oder eine Verhaltenstherapie nicht angesprochen fühlen. In diesen Fällen könne die E-Zigarette eine Brücke zum Rauchausstieg bauen. Denn manche Studien sprechen dafür, dass das Dampfen den Übergang in die Abstinenz erleichtern kann. Weil andere Studien dem widersprechen, wird das Thema derzeit sehr kontrovers diskutiert.
„Die aktuelle Datenlage erlaubt es noch nicht, eine abschließende Entscheidung für oder gegen die E-Zigarette zu treffen“, schreiben Rüther und seine Kollegen. Vorerst gelte es, die Chancen, die die E-Zigarette für die Tabakentwöhnung biete, nicht durch eine zu starke Regulierung zunichte zu machen. Zugleich müsse aber verhindert werden, dass die E-Zigarette das Rauchen wieder salonfähig macht.
© gie/EB/aerzteblatt.de

Rauchentwöhnung bestes Ziel!

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