Medizin
Postmenopausale Hormontherapie: Bedarf es einer erneuten Trendwende?
Dienstag, 21. November 2017
Berlin – Der vorzeitige Stopp der Studie der Women’s Health Initative (WHI) wegen negativer Nutzen-Schaden-Bilanz der postmenopausalen Hormontherapie hat 2002 eine Trendwende eingeleitet, die bis heute anhält. Der Gebrauch von Sexualhormonen nach der Menopause ging etwa in Europa um bis zu 80 Prozent zurück. Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) sehen darin eine Fehlentwicklung und plädieren seit Jahren für eine Umkehr der Trendwende. Ihre Forderung sehen sie durch eine aktuelle Publikation in JAMA untermauert, in der die Teilnehmerinnen der WHI-Studie über die Dauer von 18 Jahren weiter beobachtet wurden, im Hinblick auf Gesamtmortalität und krankheitsspezifische Mortalitäten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Malignome, sonstiges). Diese positive Schlussfolgerung ziehen jedoch nicht alle Experten.
Cornelia Jaursch-Hancke: Frauen mit Wechseljahresbeschwerden sollten viel häufiger eine Hormontherapie erhalten.
Während des 18-jährigen Follow-ups der 27.347 postmenopausalen Frauen zeigte die Hormontherapie keinen Einfluss auf die Gesamtmortalität, auf kardiovaskulären oder krebsbedingten Tod. Das gilt sowohl für die Monotherapie mit konjugierten equinen Östrogenen (CEE, 0,625 mg/Tag) als auch für die Kombinationstherapie mit CEE plus Medroxyprogesteronacetat (MPA, 2,5 mg/Tag). Allerdings war die Gesamtmortalität bei den Frauen, die eine Hormontherapie im Alter von 50 bis 59 Jahren begonnen hatten, im Vergleich zu einem späteren Start signifikant gesenkt in der Interventionsphase. In der 18-jährigen Beobachtungsphase blieb der Trend erhalten, war aber nicht mehr signifikant.
Das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder allgemein an einem Malignom zu versterben, wurde während des Beobachtungszeitraums von 18 Jahren ebenfalls durch eine Hormontherapie nicht beeinflusst, unabhängig von der Art und Weise der Hormontherapie und dem Alter bei Beginn der Therapie. Werden die unterschiedlichen Krebserkrankungen aber analysiert, bestätigt sich in der Nachbeobachtung ein signifikanter Überlebensvorteil für das Mammakarzinom bei den Östrogenmonoanwenderinnen. Für das Kolonkarzinom dagegen bestätigte sich ein erhöhtes Risiko zu versterben bei Östrogenmonotherapie (nicht in der Kombinationstherapie), allerdings nur, wenn die Therapie im Alter von 70 bis 79 Jahren begonnen wurde. Weitere Erkrankungen wie COPD und Demenz in Zusammenhang mit der Hormontherapie wurden untersucht. Dabei zeigte sich unter der Hormontherapie ein Trend für ein verringertes Risiko, an COPD und Demenz zu versterben, die Anzahl an Ereignissen war aber insgesamt zu gering.
Frauen mit Wechseljahresbeschwerden im Alter zwischen 50 und 59 Jahren sollte eine Hormontherapie nicht aus Gründen potenziell lebensbedrohlicher Nebenwirkungen vorenthalten werden, da
- Frauen dieses Alters, die für fünf bis sieben Jahre Hormone einnehmen, länger leben,
- eine Monotherapie mit Östrogenen über sieben Jahre die Sterblichkeit durch das Mammakarzinom senkt,
- eine Hormontherapie für fünf bis sieben Jahre keinen Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit, Tod an koronarer Herzerkrankung, anderen kardiovaskulären Erkrankungen, Schlaganfall und Krebs hat,
- eine Hormontherapie nachweislich die effektivste Methode darstellt, Wechseljahresbeschwerden zu behandeln.
Wolfgang Becker-Brüser (im Namen der Redaktion des arznei-telegramms): Von einer neuerlichen Trendwende kann keine Rede sein.
Verfechter der Hormontherapie wie die International Menopause Society oder die DGE argumentieren seit Jahren mit der sogenannten Timing-Hypothese, nach der die schädlichen Effekte der Hormone für jüngere Frauen nahe der Menopause nicht gelten sollen. Hinreichende Belege dafür fehlen jedoch. Die DGE beruft sich unter anderem auf die relativ kleine DOPS-Studie, deren Ergebnisse die Timing-Hypothese stützen sollen. Diese Studie weist aber eklatante methodische Mängel auf: Zum Beispiel war der in der Publikation ausgewertete kardiovaskuläre Kombinationsendpunkt im Studienprotokoll gar nicht vorgesehen.
Die WHI-Studie selbst ist nach wie vor die mit Abstand größte Studie zur Hormontherapie auch bei 50- bis 59-jährigen Frauen, und sie bietet in prädefinierten Subgruppenanalysen in keiner Altersgruppe einen Anhalt für eine neutrale oder gar günstige Nutzen-Schaden-Bilanz der Östrogen-Gestagen-Kombination (erfasst im „Global Index“ aus KHK, Brustkrebs, Schlaganfall, Lungenembolie, Endometriumkarzinom, Darmkrebs, Hüftfraktur oder Tod anderer Ursache). Der absolute Schaden ist bei jüngeren Frauen zwar geringer, nach der besten vorliegenden Evidenz aber nicht null: Pro 5 Jahre ist bei etwa 1 von 100 Frauen mit einem zusätzlichen schwerwiegenden Ereignis wie Brustkrebs zu rechnen, wie aus der WHI-Studie und einem Public Assessment Report der britischen Arzneimittelbehörde von 2007 hervorgeht. Die Nutzen-Schaden-Bilanz von Östrogenen allein fällt etwas günstiger aus, sie kommen aber nur für Frauen ohne Gebärmutter in Betracht (arznei-telegramm 2016).
Aktuell wird die neueste Nachauswertung der WHI-Studie, nach der sich die Gesamtsterblichkeit unter Hormonen nicht von der unter Placebo unterscheidet, genutzt, um wieder einmal „Entwarnung“ zu geben. Diese Ergebnisse sind allerdings nicht wirklich neu: Auch bei Studienabbruch war die Gesamtsterblichkeit nicht erhöht. Das bedeutet aber nicht automatisch eine ausgeglichene Nutzen-Schaden-Bilanz. Für den Endpunkt Sterblichkeit war die WHI-Studie nicht primär ausgelegt und wahrscheinlich nicht hinreichend gepowert. Den Autoren erschien er in der Originalpublikation jedenfalls als „zu insensitiv“, weswegen für die Nutzen-Schaden-Bilanz der Global Index definiert wurde, der (siehe oben) negativ ausfiel. Von einer neuerlichen Trendwende kann keine Rede sein. Frauen, die wegen Wechseljahresbeschwerden Sexualhormone anwenden wollen, müssen über die Datenlage aufgeklärt werden (arznei-telegramm 2017).

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