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Manipulation: Zuckerindustrie hält Forschungsergebnisse zurück

Mittwoch, 22. November 2017

Zucker oder Stärke? Ob sich die Kalorien unterschiedlich auf die Gesundheit auswirken, wurde bereits vor 50 Jahren von der Zuckerindustrie untersucht, aber nicht publiziert. /kirill_makarov, stock.adobe.com

San Francisco – Erneut sieht sich die Zuckerindustrie mit dem Vorwurf manipulativer Vorgehensweisen konfrontiert. Die Sugar Research Foundation (SRF), heute bekannt als Sugar Association, soll vor 50 Jahren eine Studie (Project 259) abgebrochen haben, ohne deren Ergebnisse zu veröffent­lichen. Diese konnten im Tiermodell nachweisen, dass Zucker im Vergleich zu Stärke ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen birgt und zudem ein potenzielles Karzinogen ist. Das geht aus internen Dokumenten hervor, über die Forscher der University of California in PLOS Biology berichten (2017; doi: 10.1371/journal.pbio.2003460.g001).

Erst im letzten Jahr hatte die Sugar Association eine Mausstudie in Cancer Research kritisiert, die eine Verbindung zwischen Zucker und einem erhöhtes Risiko für Tumore vermuten ließ: „Kein glaubwürdiger Beweis bestätigt den Link zwischen verdautem Zucker und Krebs“, heißt es in einer Pressemeldung des Verbands.

Dabei hätte ihnen die Gefahr aus dem eigenen Forschungsprojekt (Project 259), das von 1967 bis 1971 lief, bekannt sein sollen. In dieser Studie konnten die Forscher bei Ratten einen Zusammenhang zwischen hohem Zuckerkonsum und einem erhöhten Level an Beta-Glucuronidase beobachten. Das Enzym ist beim Menschen mit einem erhöhten Risiko für Blasenkrebs assoziiert. Die Publikation der Ergebnisse hätte möglicherweise wirtschaftliche Einbußen für die Zuckerindustrie zur Folge gehabt, sagt Hans Hauner vom Klinikum rechts der Isar in München dem Deutschen Ärzteblatt. Womöglich hätte sogar der Verlust des GRAS-Status („Generally recognized as safe“) durch die Food and Drug Administration der USA gedroht, schätzt der Experte der Deutschen Diabetes-Gesellschaft.

Streit um Kalorien

Sowohl die Sugar Association als auch die World Sugar Research Organisation verneinen, dass Zucker einen metabolischen Effekt habe. Einzig und allein die Kalorien seien maßgeblich. Diese These vertritt auch die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker in ihren sieben Fakten, die sie dieses Jahr auf ihrer Webseite veröffentlicht haben, um sich gegen die von der Verbraucherorganisation foodwatch benannten Zuckermythen zur Wehr zu setzen.

„Die Evidenz von wissenschaftlichen Studien steht dem entgegen“, sagen Stanton Glantz und Erstautorin Cristin E. Kearns und verweisen auf eine Studie aus 2015 und die Touro-UCSF Studie. Das gehe auch eindeutig aus dem Fazit des Reports des Dietary Guidelines Advisory Committee von 2015 hervor (siehe Frage 6). Dennoch wurden diese Erkenntnisse im finalen Dokument umstrukturiert – gute und schlechte Lebens­mittel gebe es demnach doch nicht, kritisiert Erstautorin Cristin E. Kearns.

„Auch die US Regierung verweigert weiterhin zuzugeben, dass die Kalorien von Zucker besonders schädlich seien“, sagt Kearns. Dabei sei sich die Fachwelt längst einig, dass der aktuell hohe Zuckerkonsum – in Deutschland etwa 100 Gramm pro Tag vom Säugling bis zum Greis – mit Gesundheitsrisiken wie Karies, Adipositas, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreis­lauf-Krankheiten verbunden ist, sagt Hauner. Die Weltgesundheits­organisation und viele nationale Ernährungsgesellschaften empfehlen stattdessen einen täglichen Verzehr von 25 bis höchstens 50 Gramm zugesetztem Zucker.

Die Autoren sind überzeugt, die Zuckerindustrie verfolge die gleiche Taktik wie lange Zeit die Tabakindustrie. Eine Methode: Ergebnisse, die den kommerziellen Interessen widersprechen, werden nicht publiziert, heißt es in der Einleitung ihrer Publikation.

Kearns und Glantz hatten bereits 2015 im PLOS Medicine die Einflussnahme der Industrie und erneut 2016 die Manipulation einer Studie im NEJM aufgedeckt. 

Wie die US-Zuckerindustrie den Fetten die Schuld gab

San Francisco – Die Sugar Research Foundation, ein Vorläufer des heutigen Industrieverbands der US-Zuckerindustrie, hat in den 1960er Jahren möglicherweise einer Übersicht zu den Ernährungsursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im New England Journal of Medicine den „richtigen Dreh“ versetzt und damit erfolgreich von den Risiken des Zuckerkonsums abgelenkt. Dies zeigt die Analyse von (...)

Autoren mit Interessenkonflikt kommen zu anderen Ergebnissen

Welchen Einfluss der Interessenskonflikt der Studienautoren auf die Interpretation von Forschungsergebnissen hat, konnte 2013 eine Studie in PLOS Medicine aufdecken. Hier hatten die Autoren 17 Übersichtsarbeiten zum Thema zuckergesüßte Getränke und Übergewicht untersucht. Bei sechs der Studien hatten die Autoren einen Interessens­konflikt mit der Lebensmittelindustrie angegeben. 83,3 Prozent der übrigen Studien ohne Interessenkonflikt kamen zu dem Schluss, dass zuckergesüßte Getränke ein Risikofaktor für Übergewicht sein könnten. Ebensoviel Prozent der interessensgelei­teteten Autoren konnten diesen Zusammenhang nicht aus ihren Ergebnissen ableiten. Somit war die Wahrscheinlichkeit fünfmal höher, keinen positiven Link zu finden.

Diese gravierende Verletzung der ethischen Grundsätze von Wissenschaft wurde bis in die jüngste Zeit immer wieder beobachtet. Hans Hauner, Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, Freising-Weihenstephan

Hauner ist sich sicher, dass das aktuell beschriebene manipulative Vorgehen der SRF kein Einzelfall ist: „Diese gravierende Verletzung der ethischen Grundsätze von Wissenschaft wurde bis in die jüngste Zeit immer wieder beobachtet. Durch gezieltes Sponsoring versucht die Zuckerindustrie offensichtlich, den hohen Zuckerkonsum in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen und Risiken und Gesundheitsgefahren herabzuspielen oder zu negieren.“

Das Autorenteam um Kearns hat gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt auf Nachfrage angekündigt, dass weitere Publikationen folgen werden. Basierend auf internen Dokumenten, die in Archiven wie etwa dem OCLC WorldCat network, Archive GRID und Google zugänglich sind, soll die Gesellschaft weitere Einblicke in die Einflussnahme der Industrie erhalten. © gie/aerzteblatt.de

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