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Medizin

Narkosegase und Klimageräte im OP-Saal belasten Klimabilanz

Freitag, 8. Dezember 2017

/chanawit, stock.adobe.com

Vancouver – Die bevorzugte Verwendung des klimaschädlichen Inhalations­anästheti­kums Desfluran belastet die CO2-Bilanz nordamerikanischer Kliniken. In einer britischen Klinik schlagen dagegen vor allem die Heizkosten wegen der Verwendung fossiler Energieträger zu Buche, wie eine Vergleichsstudie in Lancet Planetary Health (2017; doi: 10.1016/S2542-5196(17)30162-6) zeigt.

Das Gesundheitswesen der westlichen Länder belastet das Weltklima. In den USA ist der medizinische Sektor für 8 bis 10 Prozent aller Treibhausgasemissionen verant­wortlich. In Großbritannien entfällt ein Viertel aller Emissionen des öffentlichen Sektors auf den National Health Service (NHS). Zu den besonders ressourcenhungri­gen Bereichen zählt die Chirurgie und hier vor allem der OP-Bereich. Forscher aus Kanada, Großbritannien und den USA haben jetzt den „Carbon footprint“ für 3 Kliniken des Landes bestimmt und dabei bemerkenswerte Unterschiede festgestellt.

Die CO2-Bilanz der Kliniken wird durch 3 Bereiche bestimmt: Inhalationsanästhetika, Heizkosten und Müll. Von den Inhalationsanästhetika hat Desfluran die negativsten Auswirkungen auf das Klima. Da es in der Umwelt nur langsam abgebaut wird, ist sein Treibhauspotenzial („GWP100“) 18-fach höher als bei anderen Inhalationsanästhetika. Desfluran wird von Anästhesiologen geschätzt, weil es wegen der raschen An- und Abflutung die kürzesten Einschlaf- und Aufwachphasen hat und die Narkose deshalb gut steuerbar ist. In Nordamerika ist es das bevorzugte Inhalationsanästhetikum. In England wird es wegen der höheren Kosten kaum verwendet. Die Narkoseärzte des NHS müssen auf andere Gase oder auf Injektionsnarkosen ausweichen.

Dies hat direkte Auswirkungen auf die Klimabilanz in den OP-Sälen. Nach den Berechnungen von Andrea MacNeill von der Universität von British Columbia in Vancouver sind Anästhesiegase am dortigen Vancouver General Hospital für 63 Prozent der gesamten chirurgischen Emissionen verantwortlich. Am University of Minnesota Medical Centre betrug der Anteil 51 Prozent, während am John Radcliffe Hospital, Oxford, nur 4 Prozent der Treibhausgase aus den Narkosegeräten kommen. 

Die Oxforder Universitätsklinik hat andere Probleme. Der Energieverbrauch für Heizungen, Lüftungen und Klimageräte ist dort deutlich höher als in Vancouver oder Minnesota. Außerdem stammt die Energie überwiegend aus Kohlekraftwerken. Der Anteil des Energieverbrauchs am „Carbon footprint“ liegt in Oxford deshalb bei 84 Prozent. In Minnesota sind es 36 Prozent und in Vancouver nur 17 Prozent. Der kanadischen Klinik kommt zugute, dass ein hoher Anteil der Stromproduktion auf Wasserkraftwerke entfällt.

Auch die Müllproduktion ist erheblich. An den 3 Kliniken fallen pro Jahr zwischen 228 und 360 Tonnen Müll an, die teilweise als Sondermüll entsorgt werden müssen. Beim Transport und der Verarbeitung entstehen Klimagase. An den 3 Kliniken beträgt der Anteil der Müllentsorgung am gesamten „Carbon footprint“ zwischen 12 und 20 Prozent.

Im Durchschnitt entstanden in den Kliniken pro Operationssaal und Jahr Emissionen von 188 Tonnen CO2-Äquivalenten. Hochgerechnet auf alle Operationssäle in Groß­britannien, den USA und Kanada ergibt dies laut MacNeill eine Gesamtbelastung von 9,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, was in etwa der Klimabelastung durch 2 Millionen Pkw entspricht. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #88255
doc.nemo
am Montag, 11. Dezember 2017, 09:57

Lustige Zahlenspielereien

Die Autoren schätzen, dass das Gesamt-CO2-Äquivalent für die Chirurgie im Jahr 2011 dem von ca. 2 Mio PKW in den drei Ländern USA, Kanada und UK entsprach. Leider geben sie keine relativen Zahlen an. Soweit ich eruieren konnte (ohne verlässliche Angaben für Kanada und UK), betrug die Gesamtzahl an PKW in den drei Ländern im Jahr 2011 ca. 300 Mio. Der durchschnittliche Anteil der Narkosegase am Gesamt-CO2-Äquivalent der Kliniken lag bei ca. 40%, entsprechend ca. 0,8 Mio PKW, also um die 0,25% aller Fahrzeuge. Setzt man den durchschnittlichen CO2-Ausstoß für einen Mittelklasse-PKW bei 250 g/km an (Wert für die USA) und rechnet dies um auf das in dem amerikanischen Krankenhaus erzeugte CO2-Äquivalent der Narkosegase pro Eingriff (118,3 kg), entspricht dies einer Fahrtstrecke von ca. 470 km. Im UK dagegen (7 kg/Fall) braucht der Patient nur knapp 30 km weit zu fahren, um denselben Klimaimpact zu erzeugen wie das Narkosegas, das er verbraucht. Langt also gerade mal ins Krankenhaus. Geht man weiterhin davon aus, dass ein Patient nach einem operativen Eingriff eine gewisse Zeit lang nicht Auto fahren kann, dürfte sich der Nettoeffekt auf das Klima noch deutlich reduzieren. Wie gesagt, nur lustige Zahlenspielereien, hoffentlich ohne Rechenfehler.
Avatar #549907
rully
am Samstag, 9. Dezember 2017, 14:15

inhalationsanästhesie und ökologie

die genannten zahlen unterstreichen den stellenwert vom "low-flow" in der "steady-state-phase" bei der inhalationsanästhesie.
und lassen wegen ihrer erstaunlichen höhe daran zweifeln, dass ein solcher überall als standard tatsächlich durchgehend angewandt wird....
und desflurane als "tollstes", sicher aber teuerstes und schädlichstes narkosegas muss es ja, wie im artikel gesagt, sicher auch nicht immer sein...
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